09.10.2017

1960: The Making of the President


Die Wahl 1960 in den USA zwischen John F. Kennedy und Richard M. Nixon, habe ich mir sagen lassen, soll wohl eine - wenn nicht sogar die - spannendste Wahl der USA gewesen sein. Beide wurden ja bekanntlich in den Folgejahren Präsidenten und beide hatten eine verkürzte Amtszeit (wenn auch aus unterschiedlichen Gründen). Das Spiel 1960: The Making of the President spielt den Wahlkampf zwischen den beiden Charakterköpfen nach und stand schon lange auf meiner Einkaufsliste. Nicht nur weil es das Thema so perfekt simulieren soll, sondern auch weil es als "das schnelle Twilight Struggle" bekannt wurde (was zu einem meiner absoluten Lieblingsspiele gehört). Als jetzt das Spiel endlich neu aufgelegt wurde - und das auch noch von GMT - musste ich quasi zuschlagen.


Wie geht denn nun 1960? Wir übernehmen wahlweise die Rolle vom Demokratenkandidat John F. Kennedy oder vom Republikaner Richard M. Nixon und versuchen in 8 Spielrunden unseren politischen Einfluss in den USA möglich breit zu fächern und um die Stimmen der Wahlmänner zu buhlen. Zwischendrin gibt es noch eine TV-Debatte und am Spielende den großen Wahltag.
Getrieben wird das Spiel dabei von einem großen Kartendeck, welches mit wundervollem Artwork diverse Ereignisse des Wahljahres wiederspiegelt. Von diesen Karten bekommen die Spieler pro Runde 6 Karten auf die Hand. Bin ich am Zug, kann ich eine Karte entweder für das aufgeführte Ereignis ausspielen (nicht, wenn diese Karte nur der politischen Gegnerpartei zugeordnet ist) und dieses abhandeln, oder ich spiele die Karte für politische Aktionspunkte aus. Tue ich letzteres kann ich meinen politischen Einfluss im Land, in den Medien oder bei politischen Kernthemen ausweiten. Ziel dabei ist es stets die Mehrheit in einer Region zu erlangen. Hat der Republikaner beispielsweise Einfluss in Texas, kann ich nach Texas reisen und dort meine Aktionspunkte verwenden um seinen Einfluss zu eliminieren und im besten Fall meinen zu platzieren. Das funktioniert in aller Regel auf einer 1 zu 1 Basis (Ausnahmen sind möglich).


Ein wichtiger Bestandteil des Aktionskartendecks sind auch die sogenannten Momentum-Chips. Jeder Kandidat startet mit einer gewissen Anzahl davon und kann diese auch im Laufe des Spiels wiedererlangen. Diese dienen dazu in der Aktionsphase des Gegners ein von ihm gespieltes Event auf einer Aktionskarte auszuführen, obwohl der aktive Spieler lieber die Aktionspunkte verwenden wollte. Warum sollte man das tun? Nunja, wie ich bereits habe anklingen lassen, sind manche Ereigniskarten einer gewissen Partei zugehörig, d. h. dass das Ausspielen des Ereignisses eine Partei bevorzugt. Habe ich als Demokrat beispielsweise eine Republikanerkarte auf der Hand, spiele ich diese natürlich für die Aktionspunkte aus. Mein Gegenspieler hat aber die Option mit seinen Momentum-Chips das Ereignis zusätzlich auszuführen, was ihm wiederum im Zug des Gegenspielers ebenfalls einen Vorteil bieten kann. Will ich das auf jedenfalls verhindert, kann ich vor dem Ausspielen aber auch zwei meiner eigenen Momentum-Chips ausspielen. Toll.

Ein weiterer wichtiger Bestandteil von 1960 ist das Initiativsäckchen. Zu Beginn einer Partie wird ein Stoffsäckchen sowohl mit Republikaner- als auch mit Demokratenklötzchen bestückt. Möchte ich politisch dominierte Staaten beeinflussen, oder aber die Initiative in einer Spielrunde ergreifen, werden Klötzchen aus diesem Säckchen gezogen. Die Mehrheit gewinnt und die gezogenen Klötzchen werden entfernt. Klingt nach einem Zufallselement? Natürlich kann man den Inhalt des Säckchens manipulieren anhand der Karten, welche man in seinen Zügen ausspielt.


Was gibt es noch bei 1960? Es gibt noch eine TV-Debatte, welche sich losgelöst vom restlichen Spiel in einer Art Minigame in Runde 6 spielt, aber nicht unerheblichen Einfluss auf den Ausgang des Wahlkampfes hat und dennoch in den Vorrunden geplant werden will. Außerdem gibt es noch das Ringen um die Präsenz in den Medien, die Kämpfen um die politischen Kernthemen der Wahl und das Reisen der Kandidaten durch die verschiedenen Teile des Landes.

Vielmehr möchtet Ihr aber sicherlich erfahren, wie sich 1960 anfühlt. Macht es Spaß? Für wen ist es geeignet? Wie hat es mir gefallen? Meine Antwort hierzu lautet kurz und knapp: Ja, es macht höllisch Spaß und von mir gibt es eine klare Kaufempfehlung. Warum? Zunächst einmal empfinde ich die Zweitauflage als kleines grafisches Kunstwerk. Ich persönlich habe bereits die Erstauflage grafisch als äußerst ansprechend empfunden und ich konnte mir kaum vorstellen, dass man dies noch einmal toppen könnte. Dazu kommt die von GMT gewohnt starke Materialqualität. Dicke Karten, tolles Artwork, klare Anleitung, tolles Spielbrett, dicke Box.
Aber vor allem spielerisch und thematisch hat mich 1960 voll überzeugt. Ich habe in einer Partie wirklich das Gefühl mit meinem Kandidaten auf Wahlkampftour durch die USA zu reisen. Es gilt geschickt die eigene Kartenhand zu analysieren und mit bedacht die richtigen Karten im richtigen Moment auszuspielen. Dabei darf man aber auch nicht die Staaten aus dem Auge verlieren, welche die meisten Wählerstimmen einbringen (denn nicht alle Staaten sind gleich wichtig).


Das Herzstück des Spiels sind aber die Momentum-Chips, welche ein permanentes Abwägen erfordern. Wann setze ich diese ein? Ist das von meinem Gegner gerade gespielte Event vielleicht für mich nun gerade besonders effizient? Oder setze ich meine Chips gleich ein, um ein Aktivieren des folgenden Events durch meinen Widersacher zu verhindern? Wie locke ich ihm die Chips vielleicht auch aus der Reserve, um im Anschluss gefahrlos meine Handkarten auszuspielen? Toll!
Ein weiterer schöner Bestandteil ist das Bagbuilding-Element im Spiel. Ich kann durchaus die Zusammenstellung des Säckchens beeinflussen und mir damit bewusst einen Vorteil verschaffen, wenn es darum geht Klötzchen zu ziehen. Das Erlangen der Initiative und die Möglichkeit aus dominierten Staaten Einfluss zu entfernen darf nicht unterschätzt werden. Klar ist aber auch, dass hier natürlich ein Glückselement trotz allem verbleibt. Für mich aber eine tolle Mechanik, die sich super ins Spiel einbindet.

Natürlich darf ein Vergleich zu Twilight Struggle nicht fehlen. 1960 gilt nicht umsonst als "der kleine Bruder". Spielmechanisch leiht sich 1960 tatsächlich so einiges vom Branchenprimus. Karten ausspielen, zwischen Event und Aktionspunkten wählen, Klötzchen platzieren. Größter Unterschied ist aber wohl die Spieldauer und die Komplexität. 1960 ist in ca. 90 Minuten gespielt. Twilight Struggle kann durchaus 180 Minuten oder länger dauern. Zudem ist die Lernkurve bei Twilight Struggle deutlich höher. Während man dort eigentlich den Inhalt des gesamten Kartonstapels kennen muss, um wirklich effizient spielen zu können, ist in 1960 ein solches Vorwissen zwar vorteilhaft, aber nicht unbedingt notwendig. 1960 also bloß ein Einsteigermodus zu mehr? Keinesfalls. Ich persönlich mag die kurze knackige Spielzeit und empfinde 1960 auch als entscheidend anders, um ebenfalls im Regal zu bleiben. Mich reizt zudem das Thema, was hier sehr schön umgesetzt wurde. Von meiner Seite also eine klare Empfehlung.

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1960: The Making of the President von Christian Leonhard und Jason Matthews
Erschienen bei GMT
Für 2 Spieler in ca. 90 Minuten

sämtliche Bilder sind von www.boardgamegeek oder dem jeweiligen Verlag (hier GMT)