23.05.2019

Sarah´s Vision


Ich persönlich finde es immer charmant, wenn alte Spielideen neu aufgegriffen und modernisiert werden. Sarah´s Vision ist in vielerlei Hinsicht ein besonderes Beispiel. Herausgeber ist eine Schweizer Versicherungsgruppe, die Rezensenten von Shut Up and Sit Down haben laut Anleitung bei der Spielentwicklung mitgewirkt, und das Spielprinzip basiert auf einem Kindheitsklassiker!

Kindheitsklassiker. Ja, Ihr habt richtig gelesen. Sarah´s Vision hat nämlich als Hauptmechanismus Jenga. Genau. Diesen riesigen Turm, aus dem man mit viel Gefühl einzelne Blöcke rausziehen muss und diese dann wieder oben drauf legt in der Hoffnung, dass der Turm nicht umfällt. Interessant ist es allemal, dass sich ein modernes Brettspiel diesen Mechanismus als Grundmechanismus daherkommt und ihn geschickt in ein kooperatives Spiel einbaut. Leicht abgewandelt natürlich.


In Sarah´s Vision befinden wir uns in einer Version der Zukunft im 22. Jahrhundert. Wir sind in diesem Fall die Verfechter dieser modernen Welt mit fliegenden Autos und allerlei Krimskrams. Unsere Feinde sind Systemkritiker, die lieber ins dunkle 20. Jahrhundert zurück wollen und dabei Angriffe auf unser technisches Hauptquartier starten. Ein Hauch Cyberpunk und Android Netrunner liegt thematisch in der Luft. Sarah´s Vision ist dabei „storygetrieben“. Ich schreibe bewusst in Gänsefüßchen, da das Spiel sich zwar einer Hintergrundstory bemüht (mitsamt eigener Homepage und Flufftext auf den Karten), doch aber nicht der Eindruck erweckt werden soll, dass wir es hier mit einem Spiel der Kategorie Detective und Co zu tun haben. Die Story ist okay. Richtig abgeholt hat sie mich aber nicht. Das Spiel bleibt mechanisch.

Das Ganze läuft kooperativ ab. Verloren haben wir, sobald eine unserer „wichtigen Persönlichkeiten“ eine bestimmte Anzahl an Gefahrenmarker auf sich liegen hat. Um zu gewinnen, müssen wir lediglich das Ereigniskartendeck durchhalten, was aus 20 Karten besteht. Für Folgepartien gibt es übrigens weitere Decks, die auch die Story hinter dem Spiel weiter vorantreiben. Das sorgt für Abwechslung.


So ein klein wenig komme ich mir bei Sarah´s Vision wie bei einem Pandemic light vor. Ich versuche durch geschickte Aktionen die Gefahrenmarker in Schach zu halten und dabei die Zielpersonen so geschickt auf dem Stadtplan hin und her zu bugsieren, dass sie am Ende möglichst keiner Gefahr ausgesetzt sind und zudem bestenfalls noch sogenannte Inspirationsmarker aufsammeln können. Letztere helfen um Bonusaktionen freizuschalten und zwingen mich nicht am Jengaturm herumzudoktern.

Kommen wir aber nun einmal zur vermeintlichen Hauptattraktion von Sarah´s Vision - dem Jengaturm. Und ja, so kann man ihn getrost nennen, denn ich lehne mich sicherlich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte, dass dieser sicherlich das Verkaufsargument Nummer 1 des Spiels ist und deswegen dieser auch überall in den Vordergrund gestellt wird. Wie integriert er sich denn nun ins Spiel? Erstaunlich gut. Will ich nämlich im Spiel eine Aktion ausführen, so muss ich einen oder mehrere farblich passende Blöcke aus dem Turm ziehen und anschließend oben auflegen. Dabei gelten die üblichen Jengaregeln. Kein Ziehen aus den obersten Reihen, anklopfen vorher ist erlaubt etc. Fällt der Turm einmal um, ist das Spiel auch nicht verloren, sondern es werden alle aktuell ausliegenden Ereignisse ausgeführt - was durchaus zum Exitus führen kann.


Ich bin ein klein wenig zwiegespalten, was ich vom Turm halten soll. Einerseits ist es wirklich interessant einen Mechanismus aus meiner Kindheit wieder in einem modernen Brettspiel zu sehen und allein die Modernisierung verdient Anerkennung. Andererseits bringt der Turm auch seine Probleme mit sich. Dadurch, dass ich ganz bestimmte Steine aus dem Turm ziehen muss, um meine geplanten Aktionen durchzuführen, bin ich in meiner Wahl eingeschränkt. Manchmal liegen die benötigten Steine einfach doof, sodass sie die Balance des Turms zu sehr beeinflussen würden. Andererseits ist das ganze natürlich nichts für Bewegungslegastheniker. Ein bisschen Fingerspitzengefühl muss schon da sein. Dabei ist es verdammt ärgerlich, wenn ein Spieler mit Wurstfingern über Sieg und Niederlage entscheidet, nur weil er den sicheren Stein nicht sorgfältig rausziehen kann.

Als problematisch empfinde ich auch das Einstürzen an sich des Turms. Nicht selten ist es passiert, dass dieser voll auf das Spielfeld geplummst ist und dann erstmal sämtliche Gefahren- und Inspirationsmarker verteilt hat. Das ist ärgerlich und erinnert schon fast an die Tableaus bei Terraforming Mars.

Doch wie sieht mein Fazit zu Sarah´s Vision schlussendlich aus? Ich persönlich war neugierig auf den Turm. Dieser ist auch sicherlich das Hauptverkaufsargument, denn das Spiel dahinter ist okay, gut gemacht, aber auch nichts besonderes. Der Turm selbst hebt das Spiel hervor. Ist er aber erst einmal im Einsatz, dann offenbart sich schnell, dass es auch einen Grund gibt, weshalb man Jenga seit seiner Kindheit nicht mehr auf dem Tisch hatte. Man kann es nicht mit jedem am Tisch spielen, und die Kombination aus planerischem Kooperationsspiel mit eingebauter Geschicklichkeit fühlt sich merkwürdig und nicht homogen an. 

Alles in allem ist der Reiz des Turms bereits nach wenigen Partien verflogen. Was bleibt ist ein solides Spiel, was aber deutlich stärkere Konkurrenz in seiner Sparte hat.
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Sarahs Vision von Anthony Howgego
Erschienen bei Blaise Group
Für 1 bis 4 Spieler in ca. 90 Minuten
Boardgamegeek Link


sämtliche Bilder sind von uns selbst erstellt oder aus dem Pressematerial des jeweiligen Verlages (hier Blaise Group)