Dicke Luft auf der „Instabil“! Schon kurz nach dem Aufbruch von Crab Island in Richtung Bluewater Bay gibt es die ersten Streitereien über die beste Route. Irgendwie hatten wir uns den Weg etwas entspannter vorgestellt, aber nach zwei Meutereien, diversen Wechseln am Steuer und misstrauischen gegenseitigen Durchsuchen von Kajüten ist immer noch nicht klar, welche Richtung das Schiff einschlagen sollte. Und während die Seeleute an Bord noch lautstark debattieren, ragt unweit des Hecks schon ein überdimensioniertes Tentakel aus dem Wasser. Da will wohl ein Kraken gefüttert werden…
Feed the Kraken ist ein Deduktionsspiel aus dem Hause Funtails, bei dem drei assymetrische Fraktionen versuchen, ihr Schiff in die ihnen opportune Richtung zu manövrieren. Die zahlenmäßig überlegenen Segler gewinnen das Spiel, wenn sie die „Instabil“ nach Bluewater Bay im Osten lenken, die an Bord versteckten Piraten, wenn es gelingt, den Kurs nach Westen zur Crimson Cove einzuschlagen. Zwischen diesen Zielen lauert der geheimnisvolle Kraken in den Untiefen des Meeres, der von dem Kultistenführer und seinen inzwischen konvertierten Gefolgsleuten angesteuert werden möchte.
Auf hoher See: Die Navigation
Für das Spiel stehen uns zwei Seiten des Spielplans zur Verfügung, die entweder eine kurze (für 5-7 Personen und die erste Partie) oder eine lange Reise (für 7-11 Personen) versprechen und dementsprechend aufgebaut werden. Der Spielablauf folgt einem festen Rundenschema und geht gut von der Hand. Zunächst ernennt der amtierende Kapitän einen Lieutenant und einen Navigator. Diese drei Personen entscheiden über die nächste Bewegung der „Instabil“. In einer zweiten Phase hat die Crew die Möglichkeit, dieses vom Kapitän bestimmte Navigationsteam abzulehnen und eine Meuterei auszulösen. Dafür nimmt jedes Crew-Mitglied 0 oder mehr Pistolen verdeckt in die Hand. Diese werden gleichzeitig aufgedeckt und je nach Spielerzahl ist eine bestimmte Anzahl von Pistolen für eine Meuterei notwendig. Ohne Meuterei geht es mit der folgenden Navigationsphase weiter. Ist die Meuterei jedoch erfolgreich wird neuer Kapitän, wer die meisten Pistolen gezeigt hat und die Runde startet von Neuem mit der Ernennung von Lieutenant und Navigator.
Die folgende Navigationsphase ist das Herzstück von Feed the Kraken. Kapitän und Lieutenant ziehen je zwei Navigationskarten und wählen jeweils eine aus, die sie verdeckt in das wertig produzierte Captains Logbook, eine mit Filz ausgelegte Kiste, legen. Der Navigator schüttelt die Kiste, bis sichergestellt ist, dass er nicht nachvollziehen kann, wer welche Karte beigetragen hat. Anschließend wählt er eine der beiden Karten aus, die dem Schiff die Richtung vorgibt und Aktionen auslöst. Die Diskussion über die Karten, die zur Auswahl standen und letztlich gewählt wurden, bestimmt den Social Deduction-Aspekt von Feed the Kraken, denn hier kann gelogen, getäuscht und beschuldigt werden, wie es das Seglerherz begehrt. In der anschließenden Dienstfrei-Runde werden je nach Spielerzahl der Navigator und ggf. der Lieutenant und der Kapitän in eine Pause geschickt. Sie stehen für die kommende Runde nicht mehr zur Verfügung, die sich nun anschließt.
Aktionen als Salz(wasser) in der Suppe
Die bei der Navigation ausgelösten Aktionen sind ein weiterer wesentlicher Bestandteil der Deduktion in Feed the Kraken. Einerseits sind auf der Seekarte Aktionsfelder verteilt, die ausgelöst werden, sobald sich das Schiff darauf bewegt. So kommt es zu Kabinendurchsuchungen (der Kapitän erfährt die Fraktions-Zugehörigkeit eines Crew-Mitglieds), Verstümmelungen (einem Crew-Mitglied wird die Zunge abgeschnitten und dieses darf und kann im Anschluss nicht mehr sprechen) und Auspeitschen, um aus einem bedauernswerten Crew-Mitglied herauszupressen, welcher Fraktion es nicht angehört. Schließlich tauchen weiter im Norden Felder auf, auf denen der Kraken seinen Tribut fordert. Hier wählt der Kapitän ein Crew-Mitglied aus, das dem Kraken verfüttert wird. Erwischt es hierbei den Kultführer, gewinnt dieser mit seinen Kultisten sofort das Spiel. Auch die gewählte Navigationskarte selbst löst eine Aktion aus, die der Informationsgewinnung dient, für Pistolen sorgt oder einen Kultaufstand bewirkt, bei dem der Kultistenführer bspw. einen weiteren Kultisten rekrutieren kann.
So wird Runde für Runde, je näher wir den Zielen im Norden der Karte kommen, das Deduktions-Puzzle zusammengesetzt. Dabei helfen uns zusätzlich die unterschiedlichsten Charakter-Fähigkeiten, von denen wir zu Beginn der Partie eine (von 22!) gezogen haben. Sie ermöglichen weitere Interaktion zwischen den Spielenden oder geben uns kleine Vorteile, die allerdings selten wirklich besonders stark ins Gewicht fallen.
Social Deduction als Brettspiel
Jahrelang hätte man mich mit Social Deduction-Spielen von jedem Tisch vertreiben können. Das klassische Werwolf fand ich immer zum Gähnen und die Entscheidungen, die die Runde getroffen hat, meist so willkürlich, dass bei mir einfach kein Spielspaß aufkommen wollte. Dazu noch die endlos langen Runden, bei denen oft Mitspieler unbeteiligt am Rand saßen; wirklich kein schönes Spielerlebnis. Daher war ich zunächst skeptisch, als ich von Feed the Kraken hörte und es in den Händen hielt. Dann aber die Erleichterung: Hier steckt ganz viel Mechanik und Logik drin. Ein richtiges Brettspiel eben, keine verkappte Selbsthilfegruppe im Kreis.
Dabei kommt der Social-Aspekt von Social Deduction keinesfalls zu kurz. Ohne Diskussionen, Lügen und Beschuldigungen kommt auch dieses Spiel nicht aus und das ist gut so. Es gibt aber immer eine Grundlage an Informationen, auf denen diese Diskussionen ausgetragen werden und das macht Feed the Kraken für mich so interessant und spannend. Eingebettet in ein passendes Setting hangeln wir uns von Runde zu Runde und tragen so immer mehr Informationen zusammen. Ein wenig repetitiv und mechanisch kann das mit der Zeit wirken. Je weiter wir jedoch segeln, desto größer wird die Spannung am Tisch und die unterschiedlichen Aktionsfelder sorgen für Abwechslung auf dem Weg. So entstehen einprägsame Spielerlebnisse, bei denen es eben nicht nur darum geht, dass mein Gegenüber so verdächtig aussieht, sondern sich eben ganz konkret verdächtig verhalten hat bei der Navigation.
Fazit: Unbedingt in See stechen!
Sicherlich gibt es Spielertypen, die auch mit dem mechanischen Fundament von Feed the Kraken immer noch nichts mit dem Genre anfangen können. Wer davon weiterhin abgeschreckt ist, lässt einfach die Finger davon. Alle, die jedoch Spaß daran haben, in einer größeren Gruppe (der Sweet Spot sind mehr als 7 Spielende) diskutierenderweise ein Puzzle zu lösen, bekommen mit Feed the Kraken ein hochwertig produziertes und gut durchdachtes Spiel, das sich eben mehr wie ein Brettspiel anfühlt, das richtig viel Fleisch am Knochen hat, wie der Anglist zu sagen pflegt. Die Deluxe-Version macht dann auch noch mehr her als die reguläre Variante, stand für die Rezension aber nicht zur Verfügung. Mich hat das Spiel jedenfalls überzeugt. Ich geh dann mal den Kraken füttern. Möchte jemand freiwillig in die Fluten?
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Feed the Kraken von Maikel Cheney, Tobias Immich und Dr. Hans Höh
Erschienen bei Funtails
Für 5-11 Spielende in ca. 45-90 Minuten ab 12 Jahren
sämtliche Bilder sind von uns selbst erstellt oder vom jeweiligen Pressematerial des Verlages (Funtails)
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