16.11.2020

Trismegistus


Ein wenig rohes Blei, dann verarbeitetes Quecksilber einrühren, zuletzt noch eine Prise Salz und der scharf-duftende Geruch eines erfolgreichen chemischen Experiments steigt mir in die Nase. Ich bin kurz davor, den Stein der Weisen herzustellen, ich kann es spüren! Die Vorstellung, aus unedlen Metallen Gold und Silber mithilfe des Steins herstellen zu können, lässt uns als Alchemisten in einem der frühen Jahrhunderte n. Ch. nicht mehr los. Daher experimentieren wir in diesem recht grübellastigen Eurogame was das Zeug hält, beschaffen uns immer neue Materialien, transmutieren diese in immer wertvollere Edelmetalle, suchen uns neue Experimente aus, erschaffen mächtige Artefakte und bändigen mithilfe chemischer Essenzen die vier Elemente, um am Ende derjenige zu sein, der dem sich so hartnäckig haltenden Traum aller Alchemisten möglichst nahe kommt und auf dem Weg am meisten Siegpunkte ergattert.

Material

Trismegistus ist ein Schwerkaliber und Hochkaräter, und doch scheiden sich beim Material bereits die Geister. Die einen sagen, es sei schlampig designt, die anderen sind begeistert von der Qualität und dem unaufgeregten aber stimmigen Artwork. Ich gehöre zu letzteren. Das Spiel enthält einiges an Material: u.a. ein Spielbrett, 5 doppelseitige Spielertableaus, 108 Karten (Experimente, Publikationen, Errungenschaften etc.), 48 Artefakte in quadratischer Plättchenform, 40 Formeln (Fragmente des Steins der Weisen), einige Pappmarker (Essenzen, Bonusmarker etc.), 32 Holzscheiben in vier verschiedenen Farben als Marker für die Spieler, 16 Spezialwürfel in drei verschiedenen Farben, 80 kleine würfelförmige Materialmarker aus Kunststoff sowie 18 Karten und ein Standard-Würfel (W6) fürs Solo-Spiel. 


Natürlich sehe ich die Schwächen im Design, denn manche der Würfelsymbole sind schon recht ähnlich und für einige zu Beginn vielleicht nur schwerlich auseinander zu halten. Zudem ist die gelbe Markierung für die schwarzen Experimente auf den Spielertableaus etwas unglücklich gewählt. Und insgesamt fehlt zu Beginn ein wenig die Übersicht, vor allem da eine Spielerübersicht, die das Gewirr an Symbolen, Aktionsmöglichkeiten und Zugehörigkeiten auflöst, schlichtweg fehlt und die Symbolerklärungen auf der Rückseite der Anleitung einige der auftauchenden Symbole im Spiel nicht aufgreifen. All dies sind gewiss Schwächen, die angesprochen gehören, aber das Spiel und auch das Material nicht zwingend schlecht machen. Denn die Spielertableaus sind sehr hochwertig, robust, schick und mit extra Einkerbungen für die Formeln des Steins der Weisen sowie die Artefakte an den Rändern versehen. Und auch die kleinen gelben Kunststoffquadrate, die im Laufe des Spiels die verschiedenen Materialien darstellen, greifen sich gut an und sorgen beim Herumschieben später für ein tolles Spielgefühl – wie ich finde. 

Obwohl man die Spielertableaus und vor allem das Haupttableau sicher übersichtlicher und konsistenter hätte gestalten können, ist es doch so, wie auch in der Alchemie, in der das Essenzielle zunächst im Verborgenen liegt und nur durch stetes Herumexperimentieren schließlich zum Vorschein kommt. Hat man sich erst einmal den Weg durch die Transmutationen und chemischen Prozesse gebahnt, fügt sich plötzlich alles zusammen und die Unübersichtlichkeit weicht dem klaren Auge des Alchemisten, der gelernt hat, hinter das Formelchaos zu blicken und die Magie dahinter zu erkennen.


Ablauf

Eine Partie Trismegistus läuft stets über insgesamt drei Runden, in denen jeder Spieler insgesamt immer genau drei Würfel aktiviert, mit denen sich verschiedene Aktionen ausführen lassen. Ist man an der Reihe, gilt es daher zunächst, sich einen der ausliegenden Würfel auszusuchen, die in rot, schwarz und weiß daherkommen und entsprechend des bei Spielaufbau gewürfelten Symbols auf dem Haupttableau platziert wurden. Hierbei ist es wichtig, sich ein Symbol auszusuchen, das möglichst häufig gewürfelt wurde, denn die Macht des Würfels – und somit die Anzahl möglicher Aktionen – wird durch die Gesamtzahl der Würfel desselben Symbols bestimmt. Sobald der Würfel ausgewählt wurde und entsprechend seiner Macht (1-5) auf dem Spielertableau platziert wurde, darf man genau eine Aktion ausführen, für diese eine gewisse Anzahl an Machtpunkten bezahlen und die ausgegebenen Machtpunkte mithilfe des Würfels auf dem Spielertableau festhalten, bis sich nach mehreren Zügen der Würfel aufgebraucht hat und ein neuer ausgewählt werden muss. 


Für je einen Machtpunkt lässt sich einerseits entsprechend des Symbols eines von fünf Rohmaterialien herstellen, die man einerseits braucht, um später durch den Prozess der Transmutation verarbeitete, wertvollere Materialien zu gewinnen, und andererseits, um gewisse Experimente abzuschließen zu können. Zudem kann man für je einen Machtpunkt eine Transmutation entsprechend der Farbe des gewählten Würfels durchführen. Hierfür schiebt man einen Materialmarker entlang des Transmutationspfads der entsprechenden Farbe, wodurch man aus einem rohen Material das nächstwertvollere verarbeitete Material herstellt. Für jede Transmutation muss jedoch eine der vier möglichen Essenzen ausgegeben werden, die wiederum mit den vier Meisterleisten korrespondieren, auf denen man anschließend voranschreitet und bestenfalls gewisse Boni abgreift. An die Essenzen kommt ebenfalls durch das Ausgeben eines Machtpunkts, wobei jede Essenz genau einem der Würfelsymbole zugeordnet ist. Darüber hinaus kann man sich entsprechend des Würfelsymbols ein neues Experiment nehmen, das es dann gilt abzuschließen, indem man die dafür benötigten Materialien zusammenträgt und eine gewisse Anzahl an Schritten auf einer der Meisterleisten vorangeschritten ist. 


Wurde das Experiment erfolgreich abgeschlossen, darf man zunächst den individuellen Soforteffekt des Experiments nutzen und sich anschließend eine Formel des Steins der Weisen in sein sogenanntes 'Kabuff' legen – sozusagen als Fragment des Steins. Das Fragment hat ebenfalls einen Effekt, den man einmalig nutzen kann, und durch das Ausfüllen einer Reihe oder Spalte im Kabuff werden weitere Effekte freigeschaltet, sodass es teilweise zu regelrechten Kettenreaktionen kommt. An eben jene Fragmente kommt man zudem jedoch auch durch das Ausgeben von Gold, dem wertvollsten Material, das zudem als Joker für alle anderen Materialien hergenommen werden kann. 

Zu guter Letzt kann man sich für drei Machtpunkte ein neues Artefakt nehmen und es in eine der Auskerbungen am Rand legen, die wiederum mit den verschiedenen Mutationspfaden korrespondieren. Der auf dem Artefakt beschriebene Effekt – zum Beispiel eine Gratistransmutation oder zwei Schritte auf einer der Meisterleisten – wird sofort aktiviert und ein zweites Mal, wenn die entsprechende Transmutation durchgeführt wird, wobei das Artefakt nach jeder Runde wieder neu einsetzbar ist und ansonsten für einen Machtpunkt für dieselbe Runde wieder aufgeladen werden kann. Außerdem gibt es noch Chameleonmarker, ätherische Würfelmarker und Reaktionsmarker, die es einem erlauben, den Würfel zu manipulieren, dessen Macht zu erhöhen oder gelegentlich die Würfel eines Mitspielers außerhalb des eigenen Zuges zu nutzen. 


Siegpunkte gibt es am Ende hauptsächlich für abgeschlossene Experimente, die Anzahl der Formeln im Kabuff, die Erfüllung von Bonuskarten – Publikationen genannt –, sowie für weites Voranschreiten auf den Leisten.

Fazit

Dies war der Spielablauf im Schnelldurchlauf, und ich denke, es wird schnell klar, dass Trismegistus nichts für grübelfaule Gelegenheitsspieler ist. Ganz im Gegenteil, Trismegistus wird vor allem denjenigen gefallen, die ihre Züge gerne bis aufs kleinste Detail durchplanen und sich dabei spektakuläre Kombos à la „Ganz schön clever“ freischalten. Ich gehöre dazu und muss sagen, dass es einfach sehr befriedigend ist, mit einem einzigen Machtpunkt lediglich eine Transmutation durchzuführen, dadurch jedoch ein Artefakt zu aktivieren, dass einem die Materialien gibt, die es braucht um eines der Experimente abzuschließen, mit dessen Soforteffekt plus dem Effekt der erhaltenen Formel bzw. den Effekten im Kabuff dann weitere Mutationen durchzuführen, die einem wiederum genügend Schritte auf einer der Elementarleisten voranschreiten lassen, sodass ein weiteres Experiment abgeschlossen werden kann, wodurch wieder dessen Soforteffekt in Kraft tritt, sodass... ich denke, es ist einigermaßen klar geworden, dass hier einiges möglich ist und man bei der richtigen Vorbereitung in einem einzigen Zug das ganze Spiel umdrehen kann. 


Doch genau in dieser Grübelei liegt auch das größte Problem, das ich bei Trismegistus sehe. Einerseits ist der Einstieg ins Spiel – auch aufgrund des Mangels an Übersichtlichkeit – eher holprig. Und andererseits führt das ganze Herumgrübeln zu einer teils exorbitanten Downtime. Deshalb spiele ich das Spiel persönlich sehr gerne solo, denn der Schwierigkeitsgrad unseres Sologegners Hermes Trismegistus kann individuell eingestellt werden und funktioniert hervorragend. Allerdings spiele ich das Spiel auch sehr gerne im Duell gegen einen anderen Grübelbegeisterten. Denn die Downtime reicht hier genau aus, um meinen eigenen Zug durchzuplanen, sodass es keine wirklichen Leerzeiten für die beiden Spieler gibt. Anders sieht es da aber im Spiel zu dritt oder sogar zu viert aus. Hier kann die Downtime – vor allem, da der Ablauf und die Spielzeit in diesem Spiel nicht an die Spielerzahl angepasst wird – nahezu unerträglich werden. Wem das nichts ausmacht, kann sich getrost in die große Schlacht der Alchemisten werfen und somit sehr wahrscheinlich den heimischen Spieleabend füllen. Für alle anderen bleibt, wie gesagt, das Solospiel sowie das Spiel zu zweit. Das einzig problematische dabei – und dies ist mein letzter Kritikpunkt, ehe ich die Rezension in Schwärmerei beende – ist, dass es in Trismegistus insgesamt relativ wenige Experimente gibt und einige davon nur im Spiel ab drei Personen genutzt werden, sodass man schon nach recht kurzer Zeit alle zur Verfügung stehenden Experimente kennt. Dadurch lassen sich die eigenen Strategien zu einem gewissen Grad natürlich noch leichter vorausplanen, aber hier hätte ich mir dennoch deutlich mehr Varianz gewünscht. 


Kommen wir nun jedoch zum angekündigten Schwärmen. Trismegistus hat mich von der ersten Solopartie an in seinen Bann gezogen und meine Begeisterung ist trotz der aufgezeigten Mängel bis heute nicht abgebrochen. Ich liebe es, mir einen neuen Würfel auszusuchen, die Rohstoffmarker beim Transmutieren herumzuschieben, dann auf den Meisterleisten voranzuschreiten und schließlich die begehrten Experimente durch eine gut durchdachte, artefaktunterstützte Riesenkombo abzuschließen. Eben jene Kombos und somit auch die Siegpunkte werden zumindest in den ersten Partien jedes Mal etwas mehr, denn die Lernkurve bei Trismegistus zeigt von Anfang an steil nach oben. Besonders gut gefallen hat mir auch das Rennen um die Boni auf den Leisten, die Möglichkeit durch Reaktionsmarker im Zug des Gegners aktiv zu werden sowie die Errungenschaften, die jeweils nur ein Spieler abgreifen kann. Dies sowie das wetteifern um die begehrten Experimente in der allgemeinen Auslage fügt diesem doch recht solitär gespielten Euro-Brainburner einen gewissen interaktiven Reiz hinzu, der die Spannung nochmals erhöht. 

Von mir gibt es eine klare Empfehlung für dieses tolle Expertenspiel mit tollem Thema und wirklich gut funktionierenden Mechanismen. Und jetzt genug der Worte, denn der Stein der Weisen stellt sich nicht von selbst her und ich habe das Gefühl, dass es bald soweit ist... bald ist bei mir tatsächlich alles Gold, was glänzt, wobei ich im Grunde hoffe, dem Geheimnis des Steins nie auf die Spur zu kommen, um noch lange Zeit weiterexperimentieren zu dürfen. Also, worauf wartest du noch? Schutzbrille auf, Gehirn anschalten und eintauchen in die Welt der Alchemie! Und ob du mit Trismegistus glücklich wirst, kann ich natürlich nicht final beantworten, hoffe es aber und sage nur so viel: Die Chemie muss halt stimmen!


In a nutshell…

Trismegistus ist ein sehr grübellastiges Eurogame mit tollem Thema, einer hohen Downtime und einem großen Kombo-Potential. In diesem Brainburner sind wir als Alchemisten auf der Suche nach dem berüchtigten Stein der Weisen, besorgen uns verschieden Materialien, die wir mithilfe von Transmutationsprozessen wiederum zu besseren Materialien aufwerten, um auf diesem Wege die verschiedensten Experimente abschließen zu können, die uns unserem Ziel nach ewigem Ruhm und Reichtum stetig näherbringen. Trismegistus watet mit tollem Material auf, ist vor allem zu Beginn jedoch relativ unübersichtlich. Einmal gemeistert, hat es vor allem im Solo-Spiel und im Spiel zu zweit jedoch einiges zu bieten, sodass es von mir eine klare Empfehlung gibt. Für das Spiel ab drei Personen braucht man aufgrund der extremen Downtime allerdings sehr viel Geduld.

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Trismegistus von Federico Pierlorenzi, Daniele Tascini
Erschienen bei Board&Dice
Für 1 bis 4 Spieler in ca. 120 Minuten ab 14 Jahren
sämtliche Bilder sind von uns selbst erstellt oder vom jeweiligen Pressematerial des Verlages (hier Board&Dice)