09.11.2021

Daimyo


Vielleicht erinnert ihr Euch: Als ich das erste Mal das Spiel Rajas of the Ganges vor mir liegen hatte, waren meine Augen zunächst echt überfordert, bis ich erkannte, dass in diesem scheinbaren Chaos ganz viel System steckt und alles seinen richtigen Platz hat. Seitdem sehe ich Rajas sprichwörtlich mit anderen Augen. Auch das Spielbrett von Daimyo überfordert die Augen mit knallbunter, vollgepackter Optik, die Augen und Hirn zunächst einmal leicht überfordern. 

Doch leider trügt hier der Schein nicht so sehr wie bei Rajas: Während man anfangs noch denkt, dass man das Spiel aufgrund der optischen Überforderung nie verstehen wird (das ändert sich schnell, versprochen), bleibt nämlich auch nach mehreren Durchgängen das Spielbrett weiterhin etwas „anstrengend“. Warum das Spiel dennoch einen Blick wert sein könnte, möchte ich Euch im Folgenden erzählen. Kurz gefasst sei hier schon mal erwähnt: Wer Arnak wegen der tollen Kombination bekannter Mechaniken mochte, wir vermutlich auch aus Daimyo einiges an Spielspaß herausholen können, auch wenn hier andere Mechaniken miteinander verknüpft wurden, als dies bei Arnak der Fall war.


Aber mal von vorn: Daimyo wird als Standardspiel angeboten, für das es einerseits noch Upgrade-Komponenten sowie andererseits ein Miniaturenset im Handel gibt bzw. in der Spieleschmiede gab. Wir haben bei uns das Standardspiel vorliegen, so dass über die optionalen Dinge keine Aussage getroffen werden kann. Aber auch ohne den zusätzlichen „optischen Schnickschnack“ (ok, die Dual-Layer-Player-Boards wären schon schön gewesen) ist die Box randvoll mit Material gefüllt. Das Thema finde ich dabei sehr erfrischend: Endzeitwelt, Menschen organisieren sich in Clans, um die Herrschaft auf den Inseln an sich zu reißen, der Helm der Macht (= ein Headset) zeigt dabei an, wer der Boss (= Startspieler) am Tisch ist und aus einer Basecap mit einem Fahrradlenker wird mal eben schnell ein Samuraihelm gebaut. Kurzum: Das Setting ist durchaus abgedreht und nimmt sich selbst eigentlich nicht all zu ernst. Und das tut dem Spiel gut, denn die Kombination der Mechaniken hat es durchaus in sich, so dass ein wenig Auflockerung mal ganz gut tut.

Daimyo vereint nämlich im Kern das Würfel-Drafting mit Tableaubuilding, Set Collection, Deckbuilding, Ressourcenmanagement und Area Control. Klingt nach einer Mischung, die nicht funktionieren kann, weil alles ein wenig aber nichts richtig im Spiel enthalten ist? Mag sein, dass es so klingt, aber es funktioniert erstaunlich gut:


Zunächst einmal wird gewürfelt und jedwedes Menschenkind am Tisch sucht sich reihum einen Würfel aus. Mit einem blauen Würfel werde ich Startspieler, bekomme eine Karte und eine Sonderaktion und darf mein Lager erweitern, in das ich Reliktteile legen kann. Letztere darf ich sammeln, wenn ich statt dem blauen einen grünen Würfel nehme. Kann ich vier gleichfarbige Würfel zu einem Relikt zusammensetzen (darunter so großartige Dinge wie eine Zapfsäule!), werde ich einflussreicher. Und Einfluss ist das, was ich auf meinem Weg zur Herrschaft über das Inselreich brauche. Der grüne Würfel kann aber noch mehr, denn anstatt auf Reliktjagd zu gehen, kann ich ihn auch zur Produktion von Ressourcen einsetzen. Hierfür muss ich auf dem Spielplan aber Gouverneure oder Technofarmen stehen haben. Um eine Farm setzen zu können, brauche ich aber einen roten Würfel sowie weitere Ressourcen. Rote Würfel brauche ich aber auch zur Errichtung von Funktürmen (die meinem Einfluss steigern), zum Setzen von Gouverneuren oder zur Rekrutierung von Schattenkriegern (die feindliche Gouverneure….ich sag mal vertreiben). Außerdem gibt es noch ein Joker-Feld für Würfel aller Farben. Dort bekommt man Reis (eine der Ressourcen im Spiel).

Am Ende einer jeden Runde wird dann geschaut, wer wie viel Einfluss auf den einzelnen Inseln hat. Die beiden Erstplatzierten erhalten dann jeweils einen gewissen Betrag an Popularität (= Siegpunkte). Außerdem winken hier noch ein paar Ressourcen und man darf Helden (= Karten) kaufen. Nach fünf Runden endet das Spiel mit einer großen Schlusswertung. Es winkt Popularität für die Anzahl fertiggestellter Relikte, Gebäude, Helden, Startspielermarker und Ressourcen. Es gewinnt, wer am populärsten ist.


Soweit das grundlegende Prinzip. Vielleicht habt ihr Euch aber gefragt, wozu man denn eigentlich würfeln soll, wenn doch nur die Farbe des Würfels wichtig ist, nicht aber die gewürfelten Zahlen. Hier kommen wir nun zu den Bonusaktionen, die einen beträchtlichen Teil des Spiels ausmachen. Zunächst einmal hat jeder Clan eine eigene Clanfähigkeit, durch die das Spiel bereits ein wenig asymmetrisch wird (das steigert sich gleich noch). Diese Fähigkeit darf man nutzen, wenn die Summe der Würfelaugen auf allen eigenen Würfeln 13 oder mehr beträgt.

Weiterhin hat man grundsätzlich zwei Helden auf der Hand. Jeder Held verlangt einen Stärkewert (= Würfelwert). Hat man diesen mit einem oder mehreren seiner genommenen Würfel exakt(!) erreicht, darf man den Helden ausspielen und seine Aktion nutzen, wobei nur ein Held pro Runde gespielt werden darf. Diese Heldenaktionen sind aber durchweg sinnvoll und man sollte sein Möglichstes tun, um einen Helden pro Runde zu aktivieren. Heißt im Umkehrschluss: nicht nur die Farbe der gewählten Würfel spielt eine Rolle, sondern auch die Zahl, denn wenn man neben der Helden- auch die Clanaktion ausführen darf, bringt einen das durchaus ein gutes Stück auf der Beliebtheitsskala weiter. 
Die Helden haben aber noch eine weitere Funktion: Man darf sie abwerfen, um einen beliebigen Würfel um eine Zahl nach oben oder unten zu manipulieren und man darf auch mehr als einen Helden pro Zug abwerfen. 


Und zu guter Letzt, sind da noch die Bonusplättchen. Diese bekommt man für den Bau von Gebäuden und legt diese je nach Farbe auf die Clanfähigkeit (wo sie bei Nutzung mit-ausgelöst werden) oder zu den einzelnen Würfelablagen (wo sie Sonderaktionen erlauben, wenn man einen Würfel dort setzt). Ach ja, und dann wären da noch die Zielkarten. Diese liegen offen aus und bringen bei Erfüllung zusätzliche Popularität oder Boni während des Spiels.

Für das Spiel zu zweit wurde ein „Söldnermodul“ auf die eigens dafür gemachte Rückseite des Spielbretts integriert, über das sich sehr gut ein dritter Mitspieler simulieren lässt, für den es allerdings keinerlei Popularität zu gewinnen gibt. Für das Spiel allein wurde mit einem eigenen Kartensatz und ganz eigenen Regeln ebenfalls gesorgt.


So. Genug zu den Regeln und hin zur Meinung: Eigentlich habe ich das schon vorhin erwähnt: Die Mechanik-Mischung klingt krude und überladen, ist sie aber nicht. Im Gegenteil sogar, sie funktioniert wirklich gut. Natürlich ist das Deckbuilding kein echtes vollwertiges Deckbuilding und Set Collecting findet auf sehr niedrigem Niveau statt und natürlich ist das Würfel-Drafting deutlich präsenter und wichtiger als die anderen Mechaniken, aber die Mischung an sich macht wirklich Spaß und fordert die grauen Zellen ungemein. Nicht weil es kompliziert ist, wirklich nicht. Sondern weil doch recht viele Entscheidungen abzuwägen und schließlich zu fällen sind und die einzelnen Mechaniken sehr gut miteinander verwoben wurden. Alles passt logisch zusammen, aber man muss sich eben auch bewusst sein, dass jede Entscheidung Auswirkungen auf die nachfolgenden Entscheidungen hat. Und genau da haben wir – neben dem unübersichtlichen Spielfeld - einen weiteren Knackpunkt des Spiels: Es ist extrem anfällig für Downtimes. Grade im späteren Spielverlauf werden diese eigentlich immer auftreten und lassen sich kaum vermeiden, denn schließlich will schon allein gut gewählt sein, wo der neue Bonusaktionschip denn nun hingelegt wird, damit man ihn auch möglichst sinnvoll nutzt. Downtimes kommen auch ohne Turbo-Optimierer am Tisch garantiert vor, wobei sie sich ohne die Letztgenannten mit Glück noch in Grenzen halten. Vorhanden sind sie trotzdem. Da ist es zudem sehr schön, dass die Söldnertruppe im 2-Spieler-Spiel einen wirklich guten Job macht, so dass das Spiel auch zu zweit wirklich Spaß macht…bei gleichzeitig grade noch so auszuhaltender Downtime. Zu viert wird es schon sehr anstrengend.


Alles in allem also eine recht coole Mischung mit durchaus hohem Wiederspielwert. Zum einen aufgrund der unterschiedlichen Clans und ihrer Fähigkeiten, aber eben auch, weil man aus den Mechaniken richtig viel herausholen kann und es viele Wege zum Sieg gibt ohne dass das Ganze einen überfordert oder die Möglichkeiten schier endlos erscheinen oder man sich mit einem kleinen Fehler sofort ins Aus katapultieren würde. Ein echtes Kennerspiel eben, aber somit auch - und das muss klar sein - kein Familien- oder Expertenspiel, wobei Experten am Turbo-Optimieren ihren Spaß finden dürften.
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Daimyo von Jeremy Ducret
Erschienen bei Grimspire
Für 1 bis 4 Spieler in ca. 75 Minuten ab 14 Jahren
sämtliche Bilder sind von uns selbst erstellt oder vom jeweiligen Pressematerial des Verlages (hier Grimspire)