11.07.2023

Virtù


Der Begriff “Virtù” steht für Tapferkeit, Kraft und Tüchtigkeit - zumindest frei nach Machiavelli. Und Machiavelli ist schon das richtige Stichwort, denn wir befinden uns thematisch bei den Anfängen der Moderne in Italien und die Herrscherfamilien müssen “virtuos” vorgehen, um am Ende die mächtigste Familie in ganz Italien zu sein. Das Spiel stammt aus der Feder von Pascal Ribrault und 2-5 Spieler können daran teilhaben. Wobei ich vorweg nehmen möchte, dass das Spiel zu zweit sich doch deutlich unterscheidet und sogar ein eigenes Regelheft mit sich bringt. Dieses Review bezieht sich daher mehr auf den Standard ab 3 Spielern und ich werde zum Schluss noch kurz auf die 2-Personen-Variante zu sprechen kommen.

Der Untertitel lautet “Die Kunst des Regierens” und das beschreibt es tatsächlich sehr gut, denn wer es am besten versteht, die Leute in seinem Palast am besten einzusetzen, wird am Ende mit Erfolg gekrönt werden. Jede Familie startet mit zwei Städten in denen man das Sagen hat und versucht nun diesen Einfluss zu vergrößern und weitere Städte für sich einzunehmen, aber nicht nur dieser eher kriegerische Aspekt zählt, sondern auch die hoch angesehenen Künstler, sowie die einflussreiche Kirche sind nicht zu unterschätzen. Schöner Punkt hierbei, viele aufkommende Figuren sind historisch belegt und zum Teil auch sehr bekannt. So kann man z.B. die Familie der Medici übernehmen oder um die Gunst von Leonardo da Vinci feilschen.




Wie sieht das ganze aber mechanisch aus? Eigentlich ganz einfach, wir versetzen einen Aktionsstein um bis zu zwei Felder und führen dann die angezeigte Aktion aus, danach ist dann auch schon der nächste Spieler dran. Das Interessante daran ist aber, dass es sich bei diesem Rondell um unseren Palast handelt, welcher fünf Räume für enge Gefolgsleute bietet und am Rand können sich noch Höflinge platzieren, die uns ebenfalls unterstützen.

Diese Leute bieten zum einen die Aktionen, sowie Ressourcen, die wir für diese Aktionen benötigen. Welche wir in die Räume oder am Rand als Höfling platzieren, ist uns zunächst selbst überlassen, aber gerade dieses Spiel die Leute zum richtigen Zeitpunkt zu tauschen, ist der essentielle Bestandteil des Spiels und quasi die besagte Kunst.

Die Aktionen sind dabei ziemlich klar und eindeutig - beim Regieren können wir Plättchen wieder aktivieren, die wir vorher zur Ressourcengewinnung verwendet haben. Die meisten Plättchen stehen dabei für die Städte. Für jede Krone oder jedes Kreuz, was ich verwende, kann ich je zwei Plättchen wählen. Die Aktion fühlt sich natürlich immer etwas wenig an, aber ohne sie haben wir kaum Handlungsspielraum.




Zur Gewinnung der Künstler, können wir diese “Finanzieren”. Wir geben also Geld und jeweils Kronen und Kreuze (unseren Einfluss) ab und steigen in der Gunst der Kreativen. An bestimmten Punkten können wir dann die Schirmherrschaft für einen Künstler und/oder ein Bauwerk übernehmen, wie z.B. Leonardo da Vinci oder die Sixtinische Kapelle.

Auch das Handeln funktioniert einfach, nach Auswahl der Karte mit dieser Aktion kann ich nun Schiffe abgeben und erhalte je Schiff zwei Florint. Das alles ist noch recht harmlos und eher auf der administrativen Seite verhaftet, kommen wir also zur Einnahme von Städten.

Bei Städten, die neutral sind, kann man dies relativ einfach über die Aktion “Annektieren” durchführen. Hierfür muss man “nur” einen Ort kontrollieren, welcher benachbart ist und dann mehr Kronen abgeben, als der Wert der Stadt, welcher durch äußere Einflüsse geändert werden kann. Bei bereits besetzten Städten, entweder durch Mitspieler oder durch Piraten, hilft nur noch “Krieg führen”! Mit Abgabe von Pferden (Landwegen) und Schiffen (Seewege) kann ich jeweils eine Truppe zum umkämpften Ort bringen und belagere dann zunächst die Stadt. Wenn alle Spieler ihre Aktion durchgeführt haben (auch der Frühling genannt) werden aus den Belagerungen Kriegsschauplätze und damit abgehandelt (Herbst). Das Prinzip ist dabei aber ähnlich: die Truppenstärke plus/minus Modifikatoren gegen den Stadtwert muss höher sein, um die Stadt einzunehmen.




Sobald alle neutralen Städte eingenommen wurden oder aber eine Herrscherfamilie acht Städte ihr eigen nennen kann, endet das Spiel. Eine weitere Möglichkeit wäre das Ende der Schirmherrschaftsleiste zu erreichen, wenn man nicht ganz kriegerisch unterwegs sein möchte.

Eine Aktionsmöglichkeit fehlt aber noch: das Intrigieren! Hierfür haben wir kleine Masken, die wir an Orte auf der Karte platzieren können, um z.B. die Stadtwerte zu modifizieren. Ich kann sie aber auch völlig frei in einen Raum eines Mitspielers legen und solange diese Maske dort liegt, kann derjenige die Aktion nicht ausführen, bis er selbst eine Maske ausgibt, um diese wieder abzulegen! Uff… ein hartes Take That Element, was man bei diesem Spiel nicht erwarten würde!

Soweit so klassisch - Rondellmechanismus und Area Control gewinnen nun kein Innovationspreis, aber jetzt kommt der Winter und die Planung für das Folgejahr erfolgt. Zunächst einmal muss man Truppen auf der Karte bezahlen und dann habe ich die Möglichkeit die Karten in meinem Palast (Rondell) neu anzuordnen. Das unterliegt aber einigen strengen Regeln, für die es leider ein paar Runden braucht, bis man die vollends verinnerlicht hat, aber große taktische Möglichkeiten gibt. Höflinge an der Seite zum Beispiel werden erst wieder reaktiviert, wenn der Aktionsstein an ihnen vorbei gezogen wird, wenn ich diese aber umplatziere, kann ich das beschleunigen. Höflinge kann ich übrigens immer verwenden, während die Ressourcen in den Räumen nur in Verbindung mit dieser Aktion verwendbar sind, so kann es auch von Vorteil sein, jemanden aus dem Raum zu nehmen, um dessen Ressourcen anderweitig zu verwenden. Oder ich platziere eine zweite Karte unter eine Aktionskarte und erhöhe damit evtl. die Ressourcen. Ihr seht schon: DAS ist die Kunst des Regierens. Die strategische Verwendung der Karten ist das Herzstück und wird über Sieg oder Niederlage entscheiden. Und es macht Spaß daran herumzutüfteln!




Nachdem ich also den Palast evtl. neu arrangiert habe, kann ich nun neue Karten oder Plättchen kaufen! So kann ich mir einen Bischof oder Kardinal in den Palast holen, um meinen Einfluss auf die Kirche zu stärken oder ich hole mir für den Geldfluss einen Bankier. Da gibt es eine breite Palette, welche die Möglichkeiten des Rondells noch mehr erweitern. Jede Familie zeigt hier schon zu Beginn mit einer gewissen Asymmetrie, wo Stärken und Schwächen liegen und was man sich evtl. noch nachträglich in den Palast holen sollte.

Mit Plättchen kann ich in meinem Reich Fürstentümer oder Herzogtümer gründen oder ich rufe eine Republik oder ein Königreich aus. Und mit dem katholischen Einfluss lassen sich Kathedralen bauen, allerdings muss die Stadt ein wenig Platz bieten. Last but not least kann ich in dieser Phase auch Allianzen mit außenstehenden Reichen eingehen, wie das Königreich Frankreich, das Osmanische Reich oder das Heilige Römische Reich.

All diese Sachen bieten mir dann natürlich wieder Ressourcen, die ich verwenden kann. Nach erreichen von einem der drei Endbedingungen gibt es dann aber eine Endwertung für Prestigepunkte, die man über den Besitz von Städten, Schirmherrschaften, Allianzen und dergleichen sammeln konnte und wer davon die meisten hat, gewinnt das Spiel. Virtù bietet nicht viele Punkte, also ist jeder einzelne entscheidend.




Beim 2-Personen-Spiel wird das ganze auf ein spezielles Szenario heruntergebrochen, in dem Frankreich gegen Neapel antritt und man hier u.a. um Allianzen mit den anderen Herrschaftshäusern buhlt. Der kulturelle Aspekt wird hierbei weggelassen und es geht mehr um Gebietsgewinnung und kommt deutlich kriegerischer daher. Eine schöne Alternative auf jeden Fall, aber das Herzstück bleibt die Version für 3-5 Spieler!

Ihr merkt es glaub ich schon, dass Virtù mich wirklich begeistern konnte, auch wenn ein wenig Arbeit dahinter steckt. Gerade das Optimieren des Rondells steckt hinter einigen Hürden mit fiesen, kleinen Regeln, die man immer wieder gern vergisst und dann die gedachte Planung doch nicht möglich ist. Das kann zu Beginn etwas frustrieren, aber je mehr man es beherrscht, umso befriedigender wird es, wenn der Plan aufgeht. Ja, es gibt Züge die fühlen sich leer und sinnlos an um dann aber wieder voller Stärke zuzuschlagen. Aber auch hier alles ein Aspekt, der Kunst, die man beherrschen muss, damit es eben zu deutlich weniger “leeren” Zügen kommt.




Virtù ist ein Expertenspiel, was sich trotz der Mechanik irgendwie doch thematisch anfühlt und dann noch eine Take That Komponente im Stile von Wasserkraft mit sich bringt. Die Intrige kann so einige Freundschaften zerbrechen lassen, wenn man auf der Karte wichtige Verbindungen teurer macht oder verhindert oder eben ganze Aktionen blockiert. Wenn man merkt, dass der Mitspieler seine Intrige gerade genutzt hat und so gesetzte Marker nicht mehr so schnell entfernen kann, dann tut es diesem immens weh, wenn ich die Aktionen blockiere! Du wolltest Krieg führen gegen mich?! Upps… später vielleicht!

Dadurch ist Virtù nicht nur einfach ein trockenes Experten-Strategie-Spiel, sondern bringt Emotionen an den Tisch, die man in diesem Genre nur bei wenigen Vertretern findet. Ich weiß, nicht jeder mag es und wem dieses Element bei Wasserkraft z.B. schon stört, der wird sie hier auch eher störend empfinden, auch wenn es bei Virtù nicht so dauerhaften Einfluss nimmt, wie bei Wasserkraft.

So, ich werde mich nun wieder in meinen Palast begeben und versuche nun den Papst ins Haus zu holen… Der Sieg wird mein sein!


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Virtù von Pascal Ribrault
Erschienen bei Strohmann Games
Für 2 bis 5 Spieler in ca. 60-150 Minuten ab 14 Jahren
sämtliche Bilder sind von uns selbst erstellt oder vom jeweiligen Pressematerial des Verlages (hier Strohmann Games)
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