Das Spiel Norsemen ist in mancher Hinsicht ein Novum: Es ist zum Beispiel das erste Spiel, das vollständig und ausschließlich von Skellig Games entwickelt und nun veröffentlicht wird. Um diesen durchaus riskanten Schritt abzusichern, hat man sich für eine Crowdfunding-Kampagne entschieden – mit Erfolg. Die Veröffentlichung steht nun kurz bevor. Mir wurde bereits ein Prototyp zugesandt – wundert euch also nicht, wenn das Material auf den Bildern teilweise noch nicht dem finalen Produkt entspricht.
In Norsemen übernehmen wir, die Spieler, die Rolle von Wikingerführern, die ihre Clans zu Ruhm und Ehre führen möchten. Dazu errichten wir Siedlungen, entsenden Gesetzessprecher und planen eine clevere Reiseroute.
Wir spielen über fünf Runden, die sich auf drei Zeitalter der Wikinger-Ära verteilen. Jede Runde besteht aus drei Phasen:
1. Die Erkundungsphase
Hier planen wir unsere Reiserouten. Jeder Spieler hat ein eigenes Kartendeck mit möglichen Zielen in Nordeuropa, die jeweils mit bestimmten Rohstoffen verknüpft sind. Bei jeder ausgespielten Karte (bzw. jedem Ort) müssen wir entscheiden, ob wir ein verfügbares Langschiff oder einen Gesetzessprecher dorthin entsenden. Nur mit einem Langschiff können wir in der folgenden Phase die Rohstoffe nutzen, und nur mit einem Gesetzessprecher lassen sich die Zusatzaktionen des Ortes ausführen.
Aber Achtung: Einige Karten enthalten Totenköpfe. Sobald zwei davon in der eigenen Auslage auftauchen, wird eines unserer Langschiffe beschädigt und muss repariert werden – es steht uns dann vorerst nicht mehr zur Verfügung.
2. Die Expansionsphase
Jetzt geht es ans Eingemachte: Wir nutzen die gesammelten Rohstoffe, indem wir einen unserer beiden Jarl-Figuren auf Aktionsfelder einsetzen. Gutes Timing ist dabei entscheidend, denn der erste Spieler profitiert meistens ohne Einschränkungen – alle weiteren müssen oft mit Nachteilen rechnen. Die Jarl-Aktionen sind zentral, denn jeder Spieler hat ein persönliches Tableau, auf dem Langschiffe, Siedlungen und Festungen gebaut sowie neue Gesetzessprecher ausgebildet werden können.
Das Ganze funktioniert über eine Art Entwicklungsleiste: Wir starten mit einer vollständig gefüllten Leiste, was bedeutet, dass z. B. die erste Siedlung nur noch einen Schritt zur Fertigstellung benötigt, die vierte aber entsprechend mehr. Jeder Entwicklungsschritt kostet Rohstoffe, die wir (unter anderem) über unsere Langschiffe erhalten.
Eine der Jarl-Aktionen ermöglicht auch neue Erkundungskarten mit stärkeren Boni und mehr Rohstoffpotenzial.
Zusätzlich zu den Jarl-Aktionen können wir in dieser Phase weitere Langschiffe aussenden, Thing-Aktionen über unsere Gesetzessprecher an bestimmten Orten ausführen (die meist Einkommen oder Entwicklungen bringen), beschädigte Langschiffe für je zwei Silber reparieren oder sogenannte Titelaktions-Felder beanspruchen. Diese bringen zwar gewisse Voraussetzungen mit sich, aber auch Siegpunkte bei Spielende.
3. Die Rückkehrphase
In dieser Phase kehren unsere Jarls, Gesetzessprecher und Schiffe zurück. Vorher wird allerdings geprüft, ob man bei den drei möglichen Traditionssymbolen (auf Erkundungskarten und Siedlungen) die Mehrheit besitzt – hierfür gibt es am Ende jeder Runde Punkte.
Zum Abschluss jeder Runde kommen neue Territorien ins Spiel, die in den nächsten Runden erkundet werden können – passend zum jeweiligen Zeitalter.
Nach der fünften Runde erfolgt die Endwertung. Der Spieler mit den meisten Punkten führt den ruhmreichsten Wikingerclan und gewinnt das Spiel.
Norsemen ist ein gelungenes Eurogame mit Push-your-Luck-Komponente, in dem viele Mechanismen ineinandergreifen. Die Auswahl der Orte, das Ressourcen-Management und die passenden Entwicklungen sorgen für echtes Kopfzerbrechen – im positiven Sinne. Besonders schön ist, dass die Wikinger hier mal ohne Kämpfe auskommen. Stattdessen stehen Expansion, Siedlungsbau und kluge Planung im Mittelpunkt. Hinzu kommen viele bekannte Wikinger-Persönlichkeiten, die den Spielern individuelle Vorteile bringen.
Die grafische Gestaltung schwankt etwas: Das Cover und die Charakterkarten gefallen mir richtig gut, während das Spielbrett und die Erkundungskarten eher funktional wirken. Das Material meines Prototyps – inklusive liebevoll gestalteter Holzmeeple – hat aber bereits einen guten Eindruck hinterlassen.
Ein echter Kritikpunkt ist für mich der Aufbau der Anleitung. Warum etwa werden die essenziellen Jarl-Aktionen erst separat am Ende erklärt und nicht direkt im Rundenablauf integriert? Das wirkt umständlich und führt zu häufigem Blättern. Vielleicht liegt das auch einfach an meiner persönlichen Vorliebe für strukturierte Regelhefte – aber ich hatte in letzter Zeit öfter das Gefühl, dass viele Anleitungen auf ähnliche Weise unübersichtlich aufgebaut sind.
Unterm Strich ist Norsemen ein sehr gutes Kennerspiel, das vor allem Fans von Worker-Placement, Engine- oder Tableau-Building und Push-your-Luck gefallen dürfte. Es erfindet zwar nichts neu – echte Aha-Momente fehlen –, aber es kombiniert Bekanntes auf eine angenehm runde Art. Ich freue mich auf die finale Version, denn ich bleibe ein echter Eurogame-Fan!
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