27.01.2017

Die Kolonisten - Epische Freuden für Aufbaufetischisten


Die Spiel 2016 hatte einen Autorenneuling mit einem richtigen Schwergewicht im Gepäck. Die Kolonisten ist groß, schwer und verfügt über unzählige Pappcounter für Holz, Lehm, Ziegel und vieles mehr. Ist schwere Box, lange Spieldauer und viel Material ein Garant für großes Spieleglück? Lest hierzu meine bescheidene Meinung:

Zunächst einmal zum Spielablauf. In Die Kolonisten bauen 1-4 Spieler eine Kolonie (wer hätte das gedacht) auf. Während wir mit den bloßen Basics starten (kleine Lagerfläche, wenig Werkzeug, vereinzelte Bauern), versuchen wir unsere Siedlung in vier einzelnen Zeitaltern (bestehend aus mehreren Runden) auszubauen (mehr Lagerfläche, mehr Werkzeug, mehr Bauern). So entwickeln sich nach und nach ganze Produktionswege. Im Wald geschlagenes Holz wird zu Brettern verarbeitet, welches wiederum für den Bau von Häusern gebraucht wird, usw.. Ich denke Ihr versteht worauf das hinausläuft.
Meine Aktionen jedes Zeitalter steuere ich über die Kolonie an sich, welche als gemeinsamer modularer Spielplan für alle Mitspieler dient, sich aber auch jede Runde weiterentwickelt (mehr und unterschiedlichere Produktionsgebäude). Es folgt mehr Auswahl, neue Möglichkeiten und mehr Hirnschmalz. Spiele ich Die Kolonisten nicht solo, kann ich meine Mitspieler teilweise blockieren, bzw. den zeitgleichen Besuch des Ortes verteuern.


Die Entwicklung meiner eigenen Kolonie verfolge ich auf meinem eigenen Tableau. Hier wird nicht nur der technologische Fortschritt dargestellt, sondern auch produziert. Die produzierten Waren müssen - bis sie verbaut werden - entsprechend gelagert werden. Ressourcenmanagement ist das Zauberwort. Wir wollen ja nichts wegschmeißen müssen.
Mit Hilfe von ausgesuchten Kolonien erhöhen sich meine Möglichkeiten. Stelle ich mich beispielsweise mit den Lageristen gut, erhöhen sich meine Lagerhauskapazitäten. Klingt logisch, oder?
Was am Ende zählt sind Siegpunkte. Je nachdem wie fortschrittlich meine Kolonie am Ende dasteht, wird gewertet. Je besser ich optimiert habe, desto ruhmreicher stehe ich schlussendlich da.

Ich will den offensichtlichen Elefanten im Raum gleich mal ansprechen: Ja, Die Kolonisten ist mehr oder weniger Anno 1602 auf Brettspielebene. Wer also Kind der 90er ist und, so wie ich, wundervolle Erinnerungen mit eben jener PC-Spielreihe verbindet, für den könnte Die Kolonisten so etwas wie der Heilige Grahl sein. Habe ich keine Erfahrungen mit dieser PC-Spielreihe, sollte ich mich schon als Hardcoreeurogamer bezeichnen, der keine Angst vor stundenlanger Tüftelarbeit hat und den kein sehr ausgeprägtes Bookkeeping und damit verbundener Downtime scheut. Für alle anderen ist Die Kolonisten nämlich tendenziell nichts.


Kommen wir zunächst zum Positiven. Die Kolonisten wagt etwas, das meiner Meinung nach in diesem Ausmaß noch kein Brettspiel im Eurospielbereich gewagt hat - es bietet eine umfassende Aufbausimulation mit all seinen Stärken: Interessante Produktionswege, clevere Puzzles über Infrastruktur, thematisch ansprechende Umsetzung. Die Kolonisten ist episch. Den Aufbau einer Siedlung von Anfang an zu begleiten, diese weiterzuentwickeln und zu optimieren bietet ein äußerst befriedigendes Spielererlebnis. Ich habe das Gefühl etwas geleistet zu haben. Die strenge Rundenstruktur und die damit verbundene Mangelverwaltung steckt ein enges Entscheidungskorsett, welches jedoch keineswegs den einen richtigen Weg vorgibt. Die Kolonisten bietet Möglichkeiten sich zu entscheiden ohne zu überfordern. 

Und nun zum Negativen. Die Kolonisten bietet gehöriges Grübelpotential. Gerade als Resultat der vielen Möglichkeiten und dem ständigen Ressourcenmangel will jeder Zug gut überlegt sein. Das bringt nicht nur den Aufbaunovizen an seine Grenzen, sondern auch so manchen Eurospielveteran. Viel unerträglicher dabei ist jedoch die damit verbundene Downtime. Nicht nur der eigene Zug will gut geplant sein, sondern auch der Zug von bis zu 3 (!) Mitspielern, bei deren Zügen ich nur bedingt bis garnicht interagieren kann. Eben genannte Punkte resultieren also schlussendlich nicht nur in rauchenden Köpfen, sondern auch in einer Spielzeit bei vier Zeitaltern und vier Spielern von 8-10 Stunden. Das ist wahrhaft episch und für ein so interaktionsarmes Spiel einfach deutlich zu lang.


Die Kolonisten ist daher fast ausschließlich mit einem bzw. zwei Spielern zu empfehlen. Ich würde sogar soweit gehen, dass alleine das Solospiel empfehlenswert ist. Der Vergleich mit der "gegnerischen" Siedlung bietet mir einfach nicht die nötige Befriedigung. Das positive Spielgefühl entsteht vielmehr im erfolgreichen Aufbau einer funktionierenden Siedlungsstruktur, als im Sammeln der Siegpunkte bei Spielende. Jene geben zwar grundsätzlich numerisch Aufschluss darüber, wie gut es denn schlussendlich lief, wirken aber im Gegensatz zu dem sonst durch und durch thematischen Spielgefühl eher wie ein Fremdkörper.

Zusammenfassend ist Die Kolonisten sicherlich eines der Spiele, an denen sich Licht und Schatten scheiden. Worüber sich aber definitiv nicht streiten lässt, ist, dass mit Die Kolonisten die Eurospielerfraktion nunmehr auch endlich mal wieder ein episches Spiel in ihren Reihen hat, obwohl diese Spieldauer ja ansonsten eher bei Cosims oder Ameritrashspielen angetroffen wird.
Eine Verkürzung des Spieles auf bestimmte Zeitalter ist meines Erachtens nach übrigens keine Alternative, da es dem Spielgefühl ein wichtiges Element nimmt. Für Die Kolonisten braucht man also Zeit. Am besten ist es vermutlich, wenn man das Spiel solo spielt und irgendwo aufgebaut stehen lassen kann und bei Bedarf weiterspielen kann über alle vier Epochen - ein Abspeichern sozusagen. Und damit wären wir ja wieder bei seinem Computervorbild Anno 1602.

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Die Kolonisten von Tim Puls
Erschienen bei Lookout
Für 1 bis 4 Spieler in ca. 420 Minuten
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