16.05.2018

Der Baum: Geister des Waldes


Es gibt ja Spielideen, die wurden so oft verwurstet, dass einem die bloße Ankündigung eines weiteren „innovativen“ Exemplars nichts weiter als ein müdes Gähnen entlockt. Denn sind wir mal ehrlich, egal welches Brettspielgenre man sich anschaut: Wirklich Innovatives findet man selten oder nur mit einer wirklich großen Lupe. Die meisten Spiele bieten Evolution statt Revolution, aber das ist ja mit allem so, was wir Menschen zu unserer Unterhaltung konsumieren. In den Charts klingen die meisten Lieder wie ein Einheitsbrei, der nächste Actionfilm hat wieder abstürzende Hubschrauber im Programm und im nächsten Call of Duty rennt man wieder durch vollgeskriptete Szenen, in denen an jeder Ecke irgendwas passiert. Wir sind es gewohnt und damit vertraut, und Vertrautes ist gut. So ticken wir nun mal. Und wenn dann mal etwas um die Ecke kommt, dass wir so nicht kennen, dann wird zwar schnell „jippie, eine echte Innovation!“ gerufen. Das tatsächliche Produkt wird aber mit Argusaugen skeptisch von allen Seiten betrachtet. Und wehe, es bietet unter der Haube nichts Vertrautes! Dann wird es abgestraft und als Außenseiter zur Seite geschoben.


Auch wenn ich jetzt deutlich weiter ausgeholt habe, als ich eigentlich wollte: Der Baum: Geister des Waldes wirkt vom Thema her wie ein totaler Außenseiter: Lasst uns gemeinsam einen Baum wachsen lassen! Da werden sicherlich viele denken „wow, endlich, darauf habe ich seit Jahren gewartet!“. Denn sind wir mal ehrlich, das Setting ist schon speziell. Aber speziell heißt ja zum Glück nicht automatisch schlecht, nur wirkt es halt auf den ersten Blick alles andere als vertraut. Aber eins vorweg: So innovativ das Setting auch ist, unter der Haube wirkt das Ganze dann doch recht vertraut, was aber, wie wir wissen, nie verkehrt ist. 

Aber fangen wir mal vorne an: Der erste Eindruck beim Öffnen der Packung ist durchweg positiv. Die vielen kleinen und großen Pappteile sind von durchweg tadelloser Qualität und sehr stimmig gestaltet. Es wird ein Spielplan („Fluss“) in die Tischmitte gelegt und darüber ein Baumstamm errichtet. Die Plättchen für den Baumstamm haben zwei Seiten: eine graue und eine braune. Der Baumstamm wird zunächst mit der grauen Seite nach oben aufgebaut. Nur das unterste Teil des Baumes erhält bereits jetzt seine echte Farbe und vier Äste, die sich jeweils noch einmal aufteilen. Jeder Spieler erhält diverse Baumteile (Äste, Blätter, Knospen, Früchte, Blüte und einen Wachstumsmarker) und drei zufällig gezogene Karten.


Ist ein Spieler an der Reihe darf er entweder zwei der im Fluss offen ausliegenden Karten auf die Hand nehmen, beliebig viele Karten ausspielen oder den Baum(stamm) wachsen lassen. Durch das Ausspielen der Karten kann man an den Baum „in der Breite“ wachsen lassen, also Äste und Blätter etc. anlegen, allerdings immer nur eine Art pro Runde. Dabei gilt: ein Blatt schließt einen Ast ab und eine Knospe kann nur auf einem Blatt an einem Ast wachsen, eine Frucht wiederrum wächst nur auf einer Knospe die auf einem Blatt sitzt deren Ast neutral ist oder der eigenen Spielerfarbe entspricht und eine Blüte wächst auf irgendeiner freien Knospe. Klingt kompliziert, ist es aber nicht.

Entscheidet man sich nun dafür beispielsweise Äste wachsen zu lassen, so darf man beliebig viele Ast-Karten von der Hand ausspielen und diese Anzahl an Ästen wachsen lassen. Liegen im Fluss noch weitere Äste, werden diese zu den eigenen Karten dazugezählt.
Mit den ausgespielten Karten beschwört man auf Wunsch dann noch einen der Waldgeister. Diese haben unterschiedliche Funktionen (z.B. zusätzliche Elemente anlegen oder der Gegner erhält ein Astplättchen). Der Clou: Die Waldgeister befinden sich auf zwei doppelseitig bedruckten Karten. Beschwört man einen offen ausliegenden Waldgeist wird seine Karte umgedreht und er kann nicht mehr genutzt werden, bis der Waldgeist der Rückseite beschworen wurde (und die Karte somit erneut umgedreht wird).


Sofern man sich dafür entscheidet in seinem Zug den Baumstamm wachsen zu lassen, gibt man seinen Wachstumsmarker ab, dreht das nächste Baumstammplättchen auf die braune Seite und legt bereits die ersten Äste (aus dem allgemeinen Vorrat) an. Außerdem darf man seine Kartenhand auf sechs Karten auffüllen.
Das Spiel endet, sobald ein Spieler keine Plättchen mehr vor sich liegen hat. Dieser Spieler hat dann auch automatisch das Spiel gewonnen.

Bei genauer Betrachtung zeigt sich also, dass es bei Der Baum: Geister des Waldes eigentlich nur darum geht, seine Plättchen schnellstmöglich loszuwerden. Keine Punkte, keine Wertungen, kein zweiter Platz. Hierfür ist einiges Taktieren erforderlich, denn schließlich gilt es mit jedem Zug nicht nur persönlich schnell voran zu kommen, sondern wenn möglich auch die Konkurrenz auszubremsen. Das Ganze wirkt also gar nicht so weit weg von dem was man kennt. Dennoch ist das Setting wirklich innovativ und zwar farblich schlicht, doch absolut stimmig und mit Liebe zum Detail gestaltet. Das Spiel strahlt – trotz des eigentlichen Rennens, das da stattfindet - eine gewisse Ruhe aus, die wahrscheinlich daher kommt, dass man einem (wenn auch symbolischen) Baum beim Wachsen zusieht. Klingt nicht grade spannend, macht aber Spaß, zumal wirklich viel aus dem Setting herausgeholt wurde. Fehlt eigentlich nur noch ein passender Soundtrack, der die Atmosphäre etwas unterstützt. Sehr positiv ist auch, dass hier eben nicht jeder für sich vor sich her baut, wie das in einigen Aufbauspielen durchaus der Fall ist, sondern jeder von den Zügen der anderen Spieler abhängt.

Unterm Strich sollte man sich bei Der Baum: Geister des Waldes also nicht durch das ungewöhnliche Setting abschrecken lassen. Das Spiel bietet viel Bekanntes in neuer Verpackung und eignet sich auch perfekt als Familienspiel mit etwas älteren Kindern. Die Regeln sind grundsätzlich einfach, aber es ist nun mal nicht ganz so „friedlich“, wie es den Eindruck macht. Außerdem könnte die Vielzahl der Teile zu kleine Kinder verwirren. Ansonsten dürfte das Spiel aber allen Altersklassen Spaß machen, sofern man die grundlegende Systematik eines Aufbau-Lege-Rennspiels mag.



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Der Baum: Geister des Waldes von Simon Havard
Erschienen bei 2Geeks
Für 2-4 Spieler in ca. 45 Minuten
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