21.10.2018

Ruchlos


Poker deine Feinde zu Klump

Europa war im 16. Jahrhundert ein eher trostloser Fleck auf dieser Erde. Die Versprechen der Renaissance von mehr Kunst, Wohlstand und Frieden wurden von den Adligen pervertiert. Ein Menschenleben gilt immer weniger und ganze Generationen wachsen im Krieg auf. Wie gut, dass es da noch diese „neue Welt“, die von diesem Columbus entdeckt wurde. Außerdem gibt es da noch diese coolen Piraten, die den doofen Adligen trotzen. Mit ein paar abgehalfterten Gestalten und ein bisschen Gold machen wir uns also auf den Weg, Schätze zu bergen und eine ruhmreiche Crew zu erstellen.

Spielmaterial – Ein optionaler Schatz

Vorweg möchte ich darauf hinweisen, dass wir einen Prototyp Board Gamer Circus erhalten haben. In diesem waren nicht nur Metal-Münzen, sondern auch ein ausrollbarer Plan für die zentrale Auslage des Spiels, sowie eine ausrollbarer Plan für einen Spieler enthalten.

Ruchlos ist ein sehr stimmig designtes Deckbau-Spiel im Piratensetting. Mein persönlicher Geschmack ist damit voll getroffen. Und schon beim Betrachten der Box beginnt das Südsee-Flair und der Piraten-Look zu wirken.
Beim Öffnen der Box erwartet uns zunächst ein übersichtlich designtes Regelwerk, welches klar und verständlich geschrieben ist. Ab und zu hätte man vielleicht noch ein Beispiel mehr einbauen können, aber das ist Meckern auf hohem Niveau. Fantasy Flight und so manch anderer Verlag könnte sich da noch eine Scheibe abschneiden. Das einfache Regeldesign kommt dem allerdings auch zugute.


Die Karten sind schön übersichtlich gestaltet. Während deckbau-typisch die Rückseiten gleich sind, kann man an Hand der Vorderseiten sofort die Kartentypen unterscheiden. Alle Schätze sind mit einem weißen Hintergrund unterlegt. Alle Piraten haben einen farbigen Hintergrund. Am unteren Ende aller Karten sind die Effekte aufgeführt. Diese kommen wenigen Symbolen aus, die größtenteils selbsterklärend sind. Zusätzlich sind diese bei den Schätzen in schwarz und weiß, für Sofort- oder Ausspieleffekte, unterteilt. Bei den Piraten finden wir zusätzlich oben links noch eine Leiste mit dem Rang und der Crew, welcher der Pirat angehört und unten links einen Preis.

Etwas kontraintuitiv sind hier die Goldwerte in dem schwarzen Streifen oben auf den Schatzkarten. Dieser ist nur am Spielende für eine legendäre Errungenschaft entscheidend und entsprechen, bis auf eine Karte, immer dem weißen Goldsymbol am unteren Rand. Da auch sonst keine Effekte damit spielen, hätte man sich diesen Wert sparen können. Gleiches gilt für die weißen Symbole in der linken oberen Ecke auf jedem Schatz. Diese werden nicht mal in den Regeln erklärt. Missmutig stimmt mich der Verdacht, dass hier kurzfristig mögliche Inhalte auf eine Erweiterung verschoben wurden oder ganz gestrichen wurde und das Design nicht mehr geändert werden konnte. Ein besserer Grund für diese Symbole ist mir bisher nicht eingefallen.

In der Mitte finden sich gut gezeichnete Bilder. Einziges Manko der Bilder: Bei den Piraten richten sich die Bilder nach dem Rang. Das gilt aber nicht für die Effekte. Schöner wäre es gewesen, jeder Karte ein eigenes Bild zu spendieren. So führte es ab und zu zur Verwunderung, wenn ein anderer Effekt das gleiche Bild hatte. Das hätte man mit mehr Bildern leicht vermeiden können.
Die grundsätzliche sehr gute Gestaltung findet sich auch in den anderen Materialien wieder. Seien es die Gold-Token, mit dem Design echter Golddublonen oder die Punkte-Marker, die als einzige ein wenig den Seefahrer-Flair des Settings aufleben lassen. Gleiches gilt für die Auslagen. Diese vermitteln den Eindruck direkt vom übersichtlichen Kapitänstisch aus, alle wichtigen Entscheidungen zu treffen.


Einzig sehr förmlich ist der Marker gestaltet. Dessen Aufgabe ist es anzuzeigen, ob der Spieler irgendwann im Spiel, am Beginn einer Runde X Karten abgeworfen hat, um X neue Karten zu ziehen oder nicht. Auch die Marker für die „Legendären Errungenschaften“ sind anfangs noch recht kryptisch. Mit den Regeln erschließen sich diese aber gut und stören nicht durch Text das einheitliche Design des Spiels.
Text ist nämlich sonst nur auf den Übersichtskarten zu finden, die fast schon als vollwertiger Ersatz für das Regelwerk verwendet werden können.

Spielablauf – ein kurzer Überfall

Ruchlos ist ein sehr schnelles Spiel, vor allem im manchmal behäbigen Genre der Deckbau-Spiele.

Jeder Spieler startet mit einem Deck aus acht, für vier Spieler, oder zehn Karten, für zwei oder drei Spieler. Die Decks bestehen aus vier Dublonen, die jeweils ein Gold bringen und aus vier oder sechs Pulveraffen, die entweder allein verbuddeln oder verprügeln können bzw. zu zweit plündern dürfen.
Jede Runde besteht aus beliebig vielen Kommandos, welche die Spieler abwechselnd spielen. Fünf Kommandos stehen hier zur Verfügung: Handeln, Verprügeln, Verbuddeln, Plündern und „klar machen“. Eigentlich handelt es sich hier aber nur um ein Kommando. Denn alle Kommandos können auf „klar machen“ reduziert werden. Hier der Beweis:


1. Handeln bedeutet, dass man für seine Schätze so viele Münzen erhält, wie in den weißen Symbolen am unteren Rand der Schätze vermerkt wurde. Aber alle weiteren Symbole werden auch ausgeführt.
2.Verprügeln bedeutet, dass ich eine Karte aus der Piratenauslage auf den Piraten-Ablagestapel lege und einen neuen Pirat aufdecke. Angezeigt wird dies durch das „Verprügeln“-Symbol am unteren Rand einer Karte.
3. Verbuddeln bedeutet, dass ich eine Karte aus meiner Hand oder meinem Ablagestapel dauerhaft aus dem Spiel entfernen darf, wenn ein „Verbuddeln“-Symbol am unteren Rand der Karte ist.
4. Plündern bedeutet, dass man die oberste Karte vom Schatzstapel aufdecken darf, um entweder den Bonus der schwarzen Symbole zu erhalten oder den Schatz in den eigenen Ablagestapel zu legen. Auch das darf man nur machen, wenn unten auf der Karte das „Plündern“-Symbol zu finden ist.

Nach dieser Logik hätten auch Angriff (ein anderer Spieler wirft eine eigene Karte oder eine Münze ab), Ausschau (schau dir obersten 2 Karten deines Deck an, lege eine oben aufs Deck und nimm die andere in die Hand), Ziehen und Retten (nimm eine Karte aus deinem Ablagestapel auf die Hand) eigene Kommandos sein müssen. Diese sind aber nur Symbole.

Hier wird ohne erkennbaren Nutzen eine einfache Regel verkompliziert: Spiele auf einmal einen Pirat, bis zu zwei Pulveraffen oder beliebig viele Schätze aus. Handle alle Symbole ab.
Gut gefallen hat mir, dass man mit den Möglichkeiten des Starterdecks bereits alle genrewichtigen Möglichkeiten hat. Von der ersten Runde an, kann ich meinem Deck neue Karten hinzufügen oder ungeliebte Karten loswerden.
Nach jedem Kommando darf man einen Piraten aus der Auslage kaufen, hier Rekrutieren genannt. Dabei sollte man sich gut überlegen, welche Matrosen man sich auf sein Deck holt. Denn nach dem Rekrutieren werden sofort alle weißen Symbole ausgeführt. Außerdem darf man nur drei Piraten pro Runde rekrutieren und jeder rekrutierte Pirat darf im Enterkommando mitwirken.


Ist man mit dem Rekrutieren durch, darf der nächste Spieler ein Kommando durchführen und anschließend rekrutieren.

Diese Begrenzung hat den Vorteil, dass nie ein Spieler immer alle Karten für eine Kombo so einfach kaufen kann. Außerdem kann man die ganze Zeit gut erkennen, was gekauft wurde und was man vom anderen Spieler noch erwarten darf. Auch das Aussortieren von Karten wird dadurch mächtiger, da man weniger Karten mit Deck hat. Eine gute Abstimmung wird so gefördert. Außerdem wird so auch den genreüblichen Endlos-Kombos die Luft bzw. die Stärke genommen. Es ist wichtiger sich beim Kauf bereits auf das Enterkommando zu konzentrieren, als einen Deckbau-Endlos-Loop a la Dominion zu erzeugen.

Allerdings fühlt sich die Begrenzung der Rekrutierung auch relativ beliebig an. Warum darf ich nicht vier oder fünf Karten rekrutieren? Nach ein paar Runden wird die Begrenzung sogar noch deutlich schlimmer. Denn nun bestraft mich die Begrenzung dafür, dass ich mein Deck gut gebaut habe. Je besser man vor der dritten Runde gespielt hat, desto härter trifft einen die Strafe. Gold stapelt sich und wird beliebig. Das hat zusätzlich den Nachteil, dass durch die größeren Goldreserven die Aktion Kampf nahezu wirkungslos wird. Und nicht nur gegen Spieler mit guten Decks, sondern auch gegen Spieler mit schlechten Decks. Denn sollte ich meinem Gegner alle passenden Karten weggekauft haben, bleibt er auf seinem Gold sitzen und kann somit, eh eher nervige, als sinnvolle Angriffe abwehren.

Sind alle Spieler mit Ihren Kommandos und Rekrutierungen durch, geht es weiter zur Phase Enterkommando.
Hier bildet der Spieler aus allen Piraten, die er diese Runde gespielt oder rekrutiert hat, Poker-ähnlich Pärchen (mindestens zwei Karten mit dem gleichen Rang), Straßen (mindestens drei Karten mit aufeinanderfolgenden Rängen) oder sogar eine großes Schiff (eine Karte jedes Rangs).
Je nach Enterkommando und Länge sind diese unterschiedlich viel Kampfstärke wert. Dabei dürfen auch mehrere Enterkommandos gebildet und deren Werte addiert werden, solange jede Karte für nur eine Konstellation verwendet wird.
Der Vorteil an diesem System liegt auf der Hand: Jedem Spieler ist auch ohne konkrete Werte schnell klar, welches Enterkommando stärker ist, als ein anderes. Außerdem wissen auch Gelegenheitsspieler sofort, welche Karten gut zusammenpassen und wie man das Spiel gewinnen.

Problematisch: Besonders bei größeren Runden wird man seltener alle Karten bekommen, die man für ein Enterkommando braucht. Und schon bei zwei Spielern kam es immer wieder vor, dass mehrere Piraten nicht zu einem Enterkommando zusammengelegt werden konnte. Besonders ärgerlich ist das vor allem, wenn das nur einen Spieler betrifft und dieser kein einziges Enterkommando zusammenstellen kann. Für diesen Spieler ist diese Phase deprimierend, manchmal auch unverschuldet. Schließlich muss man auch das Gold für neue passenden Karten oder die alten passenden Karten für das Enterkommando ziehen. Der Glücksfaktor wird so entscheidender, als er es sein sollte.


Und als ob das noch nicht ausreichend wäre, erhält der Gewinner sechs Siegpunkte. Spieler erhalten nur Siegpunkte, wenn sie ein Enterkommando überhaupt zusammen bekommen haben. Aber auch das ist oft irrelevant. Denn bei zwei Spielern erhält der zweite nur drei Siegpunkte. Nach zwei Siegen ohne Gegenwehr, liegt der Sieger mit zwölf Punkten vorne. Das ist kaum aus eigener Kraft aufholbar. Und auch die legendären Errungenschaften, die am Ende des Spiels ausgewertet werden, stellen selten das Spiel auf den Kopf. Das ist besonders schade, da gerade diese nochmal für die richtige Portion Piraten-Flair sorgen. Es fühlt sich toll an, Punkte dafür zu bekommen, dass ich am meisten Kapitäne und Quartiermeister verbuddelt habe oder die meisten Schätze finden konnte. Aber eben nur so lange, bis man begriffen hat, dass es keinen großen Unterschied für das Spielergebnis macht.

Nervig an der Punktevergabe sind auch die ersten beiden Runden. Denn da erhält oft niemand Punkte. Das ist insofern ungünstig, als dass das Spiel nur sechs Runden bei zwei Spielern oder fünf Runden bei mehr Spielern hat. Diese Kürze, die jede Entscheidung wichtiger macht, macht auch gleichzeitig, jedes kleine Unglück beim Kartenziehen zu einer Katastrophe.
Es wäre vielleicht besser gewesen, das Spiel auf mehr Runden auszudehnen. Doch auch hier greift der moderne Spielergeist bei mir ein und ermahnt mich, dass ich mit eventuellen Erweiterungen längere Spiele bekomme. Ein Wenig Frust und Resignation steigen auf, auch wenn das zynisch und auch etwas unfair von mir ist.
Denn gerade die kurze Gesamtspieldauer von oft nur 30 Minuten, eventuell noch kürzer, wenn alle Spieler das Spiel kennen, und die schnellen einzelnen Runden machen, das Spiel so zugänglich und einsteigerfreundlich.

Fazit – einfach, zu kurz, aber gut

Ruchlos ist schnell, hübsch, einfach und spaßig. Aber Ruchlos ist auch gnadenlos, zufallsgetrieben, frustrierend und zu kurz.
Ruchlos könnte ein so tolles Spiel sein, wenn es nicht mit so harten Begrenzungen arbeiten würde oder wenn es mir Werkzeuge an die Hand geben würde, diese Begrenzungen aufzuweichen. Sicherlich hätte auch noch etwas Balancing bei den Punkten geholfen, für eine noch rundere Erfahrung zu sorgen.
Aber Ruchlos ist ein ganz gutes Deckbauspiel geworden. Als schnelle, wenig interaktive, Alternative zu Dominion und Ascension ist es trotzdem sehr zu empfehlen. Als Spieler habe ich viele der vermeintlichen Fehler gar nicht gemerkt. Das Spiel entwickelt einen tollen Fluss.
Wer also ein sehr kurzweiliges, schnelles und einfaches Deckbauspiel sucht, was auch mit absoluten Hobby-Einsteigern gespielt werden kann, sollte hier seine Segel hissen. Alle anderen sollten lieber das Weite suchen.

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Ruchlos von Ronald MacDonald
Erscheint bei Board Game Circus
Für 2 bis 4 Spieler in ca. 50 Minuten
Boardgamegeek-Link

sämtliche Bilder sind von uns selbst erstellt oder aus dem Pressematerial des jeweiligen Verlages (hier Board Game Circus)