18.11.2018

Lincoln


Der amerikanische Bürgerkrieg ist ein Thema, welches mich historisch sehr reizt und vermutlich neben der Entdeckung Amerikas für mich die interessanteste historische Epoche darstellt. Um ehrlich zu sein ist es jedoch aber auch ein Konflikt, über den ich nur mit gepflegtem Halbwissen prahlen kann, das häufig ein Sammelsurium aus Brettspielen (Liberty or Death von GMT) oder aus Computerspielen (North and South - kennt das noch wer?!) ist. Für mich war daher klar, dass Lincoln ein Spiel ist, welches in meine Sammlung gehört, denn anders als viele andere Verspielungen auf dem Brettspielmarkt zu diesem Thema handelt es sich bei Lincoln um ein Spiel, welches man mit zwei Personen in gut 1,5 - 2 Stunden spielen kann. Klar, der historische Kontext und der Detailgrad leiden daran etwas, aber die Grundessenz wurde eingefangen.


Lincoln ist ein Spiel von Martin Wallace, welcher mittlerweile seinen Hausverlag Treefrog Games aufgegeben hat und sich nun wieder vollends auf das Designen von Brettspielen konzentriert, was ich - und so viel Offtopic muss erlaubt sein - begrüße. Lincoln ist - und auch das ist für ein Spiel von Martin Wallace nicht ungewöhnlich - ein Deckbauspiel. Nein, falsch! Offiziell nennt es sich ein Deck-Deconstruction-Spiel, also ein Spiel, bei welchem man sein Kartendeck nicht aufbaut, sondern im Laufe einer Partie zerstört. Das ist insofern nicht nur eine clevere Marketing-Strategie, sondern eröffnet auch recht interessante neue Überlegungen, die im Laufe einer Partie Lincoln mit dem eigenen Kartendeck umgesetzt werden müssen.


Doch spulen wir mal ein wenig zurück. In Lincoln übernehmen genau zwei Spieler die Rollen der Südstaaten bzw. der Nordstaaten und versuchen den amerikanischen Bürgerkrieg für sich zu entscheiden. Die beiden Fraktionen spielen sich dabei höchst unterschiedlich. Motor des ganzen Systems ist ein Kartendeck, welches sich erheblich zwischen den beiden Fraktionen unterscheidet. In der Mitte liegt eine Karte, auf der es, anhand der Karten, gilt, Einheiten hin- und herzubewegen und wichtige Schlachten für sich zu entscheiden. Dass Lincoln in einer gewissen Weise ein Folge, Folge, Folgedesign seines Klassikers A Few Acres of Snow ist, sollte nun auch jedem bewusst sein. Das bekannte System hat Martin Wallace ja auch in weiteren Titeln übernommen, abgeändert und verfeinert (Mythotopia, A Handful of Stars).


Die einzelnen Decks der Fraktionen sind dabei auch historisch an die Situation angepasst. Der Norden verfügt über ein erhebliches Potential zum Rekrutieren neuer Einheiten und ist militärisch eher mit mittelprächtigen Generälen ausgestattet, während der Süden grandiose Generäle auf seinen Seiten hat, aber Probleme mit dem Rekrutieren neuer Truppen bzw. des Transportes eben jener. Der Spielablauf selbst stellt dabei ein Rennen für die Nordstaaten dar. Die Siegbedingungen sind nämlich recht unüblich für ein Spiel. Der Norden muss bis zum ersten Durchspielen seines Kartendecks mindestens zwei Siegpunkte errungen haben. Eben jene bekommt er durch das Einnehmen siegpunktbringender Schlüsselstädte, die zu Beginn durch den Süden kontrolliert werden. Das bringt sofort Spannung und Druck ins Spiel, denn das Deck des Nordens ist nicht sonderlich dick, sodass keine Zeit für einen behutsamen Aufbau bleibt. Es muss agiert werden. Das macht Lincoln spannend ab dem ersten Zug. Jeder Fehler wird bestraft. Schafft der Norden dieses Etappenziel nicht, gewinnt der Süden frühzeitig.


Doch der Druck bleibt beim Norden. Ist das erste Deck erst einmal durchgespielt, kommen für beide Parteien neue Karten hinzu, die auch der historischen Situation geschuldet sind. Der Norden erstarkt, erhält bessere Generäle und sinnvollere Karten - der Süden wird schwächer und schwächer. Nach dem zweiten Durchspielen des Nord-Decks muss der Norden schon 5 Siegpunkte sein Eigen nennen - demnach noch weiter angreifen und nach dem finalen Durchspielen (auch hier kommen zwischendurch weitere Karten hinzu) müssen ganze 12 Siegpunkte zu Buche stehen. Keine einfache Aufgabe. 

Die vermeintlich einfach Aufgabe des Südens besteht darin auszuharren und den Norden zu blockieren. Das gelingt in erster Linie mit der Kampfmechanik, bei welcher sich der Verteidiger freiwillig auf Raten zurückziehen kann und somit den Angreifer wertvolle Zeit kostet. Und wertvolle Karten. Warum wertvoll? Es gibt noch den Hauptmechanismus in Lincoln. Den Deck-Deconstruction-Mechanimus. Für fast jede meiner gespielten Karten - egal ob Norden oder Süden - muss ich zusätzliche Karten aus meiner Hand abwerfen bzw. die gespielte Karte permanent zerstören. Will ich beispielsweise eine meiner mächtigen 3-Stärke-Einheiten auf das Spielfeld bringen, muss ich nicht nur diese Karte permanent aus dem Spiel entfernen (und jede Karte hat mehrere Aktionsweisen, also verliere ich mächtige Zusatzeffekte permanent), sondern auch zwei zusätzliche Handkarten auf den Ablagestapel legen, die ich vielleicht gerne für etwas anderes verwendet hätte. Gerade für den Nordstaatler ist das immer eine äußerst knifflige Aufgabe, da er ja gegen die Zeit spielt. Mehr abgeworfene Karten bedeuten auch mehr Karten nachziehen und demnach auch schneller durch sein Deck spielen. Was aber, wenn ich mein Siegpunktlimit noch nicht erreicht habe? Ich stehe somit stets vor einer wichtigen Entscheidung in Lincoln  Der im Grundsatz sehr einfache Mechanismus, dass ich pro Zug zwei Aktionen ausführen darf und damit meine Multifunktionskarten nutzen muss, entpuppt sich bereits beim ersten Zug als herrlich komplex. Vielleicht baue ich lieber eine 2-Stärke-Truppe anstatt einer 3-Stärke-Truppe, damit ich nur eine Karte ablegen muss und die starke 3-Stärke-Truppe-Karte für seinen mächtigen Zusatzeffekt nutzen kann?


Hinter Lincoln versteckt sich ein tiefgründiges Spiel, was von der ersten Minute an Spannung aufbaut und schöne Entscheidungen bietet. Das Spiel lässt es dabei - trotz simpler Mechanismen - nicht vermissen ein gutes stimmungsvolles Ambiente zu schaffen, das in Grundzügen den amerikanischen Bürgerkrieg gut darstellt. Grafisch ist Lincoln meiner Meinung nach ohnehin toll gestaltet und definitiv einen Blick wert.

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Lincoln von Martin Wallace
Erschienen bei PSC Games
Für 2 Spieler in ca. 90 Minuten
Boardgamegeek Link

sämtliche Bilder sind von uns selbst erstellt oder aus dem Pressematerial des jeweiligen Verlages (hier PSC Games)