25.07.2020

Game of HAM


Was haben Schinken und Brettspiele gemeinsam? Es wird gewürfelt… Versteht ihr? Schinkenwürfel!? Nicht so lustig? Vielleicht habt ihr ja trotzdem aus Empathie und purer Nächstenliebe höflich gelächelt, um mich nicht ganz so blöd dastehen zu lassen? Danke, doch für Freundlichkeit und Anstand ist in Game of HAM kein Platz! Hier durchforsten wir die dunkelsten Ecken unseres Geistes, um verdrängte Stereotype, unterdrückten Hass und verschleierte Tabus offenzulegen und die kreative Scheußlichkeit der anderen Mitspieler sogar noch zu übertreffen. Dabei gilt es, wie beim großen Bruder Cards Against Humanity (CAH), auf vorgefertigte Fragen aus einer Reihe politisch möglichst unkorrekter Antworten die passendste – und bestenfalls verwerflichste – herauszusuchen, um den kranken Humor des aktuellen Rundenbosses zum Vorschein zu bringen und ihn möglichst zum Schmunzeln zu bringen. Anders als bei CAH bewegen wir uns hier jedoch auf einem Spielbrett fort und sammeln Bonuskarten ein. Also, bleibt ihr lieber bei harmlosen – und größtenteils schlechten – Schinken-Wortwitzen oder seid ihr bereit für die volle Ladung Schinken im nicht jugendfreien Game of HAM?


Material

Das Spiel beinhaltet insgesamt 810 Karten, die aus Frage- und Antwortkarten sowie vier verschiedenen Bonuskarten bestehen. Hinzu kommen noch vier doppelseitig bedruckte quadratische Spielbretter aus dicker Pappe, 16 verschiedenfarbige kleine Pappschinkenmarker für die Spieler, vier gigantische Riesenschinkenmarker als Platzhalter für die Bonuskarten sowie das doch recht umfangreiche Regelheft und ein beigelegter Quickstart Guide. Die Kartenqualität würde ich als Standardqualität bezeichnen, an den Pappmarkern und -spielbrettern ist nichts auszusetzen und das Design ist… sagen wir… ziemlich bunt! Die einen werden von Augenkrebs die anderen von einer dem Alkoholkonsum angepassten Aufmachung sprechen. Besonders hervorheben möchte ich die Liebe zum Detail, die vor allem durch die Flavortexte auf den Karten sichtbar wird, denn zu jeder einzelnen Antwort auf den Karten kommen ein, zwei kurze zur Antwort passende Sätze hinzu, die für den Spielablauf völlig irrelevant sind, den Spielern jedoch noch mehr humorvollen Content bieten.


Ablauf

Im Grunde lässt sich das Spiel genauso spielen wie CAH oder das deutsche Pendant Kampf gegen das Spiessertum, das ich bereits für die BoardgameMonkeys rezensiert habe. Auch hier gibt es jede Runde einen Rundenboss, der eine Fragekarte vorliest – wobei es auch zu vervollständigende Sätze sein können –, und im Anschluss suchen die Spieler aus ihren Handkarten auf Humorgrundlage die Antwort raus, die ihrer Meinung nach am besten zur Fragekarte passt. Hier ein Beispiel: 

Frage: What is the first thing graduates do after they graduate? Mögliche Antworten: Failing at life - A MILF - Your mother - Riding the obesity train

Der Rundenboss sucht die beste – weil lustigste – Antwort raus, gibt dem Sieger als Trophäe die Fragekarte und dieser wird zum Rundenboss der neuen Runde. Wer am Ende die meisten Fragekarten gesammelt hat gewinnt. 


Allerdings gibt es in Game of HAM zusätzlich die Möglichkeit mit dem aus den vier verschiedenen Quadratteilen zusammengebastelten Spielbrett zu spielen, wodurch es sich von seinen bereits genannten Geschwistern abhebt. Hierfür rücken die Spieler bei erfolgreichem Erhalt einer der grauen Fragekarten so viele Felder auf dem Spielbrett vor, wie auf der grauen Karte durch Zahlen am unteren Rand angegeben ist, wobei sie stets zwischen zwei Zahlen wählen können oder sie ab 8 Spielern aufwärts sogar zusammenaddieren dürfen. Landen sie dabei auf einem grünen, roten, gelben oder orangenen Feld, nehmen sie sich eine der Farbe entsprechenden Bonuskarte. Und endet ihr Zug auf einem Zahlenfeld, rücken die Spieler zusätzlich so viele Felder vor, wie die Zahl anzeigt, dürfen sich dafür aber unabhängig davon, wo sie danach landen, keine Bonuskarte nehmen. Die verschiedenen Bonuskarten erlauben es den Spielern, andere Spieler aussetzen zu lassen, sie auf dem Spielbrett eine gewisse Anzahl an Feldern zurückzuschmeißen oder zusätzliche Antwortkarten zu spielen. Zudem darf man Bonuskarten drei Runden nachdem man sie bekommen hat an andere Spieler verschenken um 1-2 Felder auf dem Spielbrett vorzurücken.


Schließlich ist auf jeder grauen Fragekarte einer von drei Buchstaben aufgedruckt, die alle zusammen das Wort HAM ergeben. Sobald ein Spieler mit seinen grauen Karten HAM buchstabieren kann, darf er zu jeder Zeit den Effekt einer Bonuskarte ignorieren bzw. manipulieren. Und denjenigen, die dachten, dass das Spiel mit den gerade aufgeführten Regeln bereits gemein genug ist, muss ich leider mitteilen, dass man andere Spieler à la Mensch ärgere dich nicht schlagen kann, wenn man auf demselben Feld wie sie landet. Allerdings wird man dabei nicht zwingend auf das Startfeld gesetzt, da es auf dem Weg Richtung Ziel einzelne Checkpoints gibt, die sozusagen den Fortschritt speichern und das „Bouncen“, wie es in den Spielregeln genannt wird, weniger schmerzhaft machen. Wer als erster passgenau auf dem Zielfeld landet gewinnt die Partie Game of HAM und wird vermutlich mit Schinkenwürfeln überschüttet. Mahlzeit!


Fazit

Was mir an Game of HAM besonders gefallen hat ist die offensichtliche Liebe und Mühe, die in diesem Projekt stecken. Denn, wie schon in der Materialbeschreibung erwähnt, besitzt jede einzelne der Antwortkarten einen individuellen Flavortext und zudem habe ich euch in der Beschreibung des Spielablaufs verschwiegen, dass im Regelheft auf 15 weiteren Seiten zusätzliche Spielmodi, Ideen und Anregungen aufgeführt sind, die für mehr Varianz und Langzeitspielspaß sorgen und es erlauben, das Spiel individuell an die Spielgruppe anzupassen. Natürlich habe ich nicht alle dieser wirklich zahlreichen Vorschläge und Regeländerungen ausprobiert, aber einige hörten sich recht witzig an, wie beispielsweise ein Staring-Contest bzw. Dancing Battle bei gleichguten Antwortkarten, die Möglichkeit im Sinne eines „Level Ups“, durch (dauerhafte) Abgabe von Antwortkarten an Bonuskarten zu kommen, oder eine extra Tauschphase, in der die Spieler alle Typen von Karten miteinander tauschen dürfen. Viele dieser Vorschläge betreffen die Art und Weise an Bonuskarten zu kommen sowie die Bewegungsregeln auf dem Spielbrett, und sie halten allerlei Gemeinheiten aber auch Nettigkeiten für die Spieler bereit, je nach dem, wie fies oder freundlich es die Spielgruppe bevorzugt. Allerdings sind auch alternative Spielmodi aufgeführt, die den gesamten Spielablauf grundlegend verändern. Als Beispiel hierfür sei der Story-Modus erwähnt, der es den Spielern zur Aufgabe macht, anhand von vier pinken Antwortkarten eine kurze kreative Geschichte passend zur gestellten Frage der grauen Karte zu erfinden.


Die Fragen- und Antwortkarten sind vielseitig und bieten nahezu unendlich verschiedene Kombinationsmöglichkeiten, wie man es auch aus CAH sowie Kampf gegen das Spiessertum bereits gewöhnt ist. Auch in Game of HAM kommt es jedoch ganz auf die Spielgruppe an, wie das Spiel letztlich ankommt, und nicht jede Spielrunde ist gleich lustig, da die Fragen und Antworten nicht immer gleichgut zusammenpassen. Darüber hinaus sollte man sich im Voraus überlegen, ab wie viel Promille man das Spiel auf den Tisch bringen will – oder vielleicht verwendet man es gleich als Trinkspiel? Denn der Humor, der hier bedient wird, ist pechschwarz und moralisch sowie politisch sehr fragwürdig und in einigen Fällen sehr alarmierend. Daher würde ich das Spiel vorzugsweise mit engen Freunden und weniger mit meiner Oma oder meinen Schwiegereltern spielen. Doch wie ich es schon in der Rezension zu Kampf gegen das Spiessertum formulierte, bin ich der Meinung, dass Stereotype, Frauenfeindlichkeit, Rassismus und verquere Weltansichten am besten dekonstruiert werden können, in dem man ihnen mit Humor begegnet, sie ausspricht und im besten Fall im nüchternen Zustand im Anschluss bei Gelegenheit weiterdiskutiert.

Nicht so gut gefallen haben mir die Effekte der Bonuskarten. Spieler aussetzen zu lassen bedeutet schlichtweg, dass diese für eine Runde zuschauen müssen, und wer hat schon Spaß dabei zuzuschauen? Und auch das „Bouncen“, also Zurückwerfen eines Spielers auf dem Spielbrett – und das ist merkwürdigerweise der Effekt auf zwei der vier Bonuskarten –, ist oftmals frustrierend und zieht das Spiel eher unnötig in die Länge, vor allem, da man oftmals einen Fortschritt, den man sich durch zwei oder drei Erfolge in fünf oder sechs Runden aufgebaut hat, schlagartig verliert. Vielleicht bin ich auch einfach zu weich… und außerdem lassen sich Regeln und Effekte ja auch durch eigene Hausregeln ggf. anpassen… Trotzdem hätte ich mir gewünscht, dass es mehr Bonuseffekte wie den in diesem Abschnitt noch nicht genannten Extrakarteneffekt gibt, der es einem erlaubt, eine pinke Antwortkarte zusätzlich zu spielen, wodurch sich natürlich auch die eigenen Siegchancen verdoppeln. Letztlich ist all dies jedoch Geschmacksfrage und diejenigen, die sich beim Spielen gerne gegenseitig das Leben zur Hölle machen, werden mit den Standardregeln sicher auf ihre Kosten kommen. Alle anderen können ja hier und dort ein wenig schrauben, bis es auch für sie passt.


Selbstverständlich ist das Hauptspielprinzip nicht neu, sondern übernimmt schlichtweg die Mechanik, wie man sie aus CAH kennt. Durch die Spielbretter und die Bonuskarten kommt jedoch schon ein anderes Spielgefühl auf, das durch die oben aufgeführten und viele weitere Ideen angepasst werden kann, sodass aus einem reinen Partyspiel mehr Brettspiel wird. Doch an diesem Punkt stellt sich offengesagt die Frage, ob es das wirklich braucht. Braucht die Brettspielwelt ein CAH mit Spielbrett? Ich denke, dass jeder diese Frage für sich beantworten muss. Ich hatte schon Spaß mit dem Spielbrett und den zusätzlichen Regeln und Modi, aber wenn ich Lust auf eine lustige und kurze Runde bitterbösen Partyspielhumor habe und dabei vielleicht gerade bei Freunden auf der Couch liege, während meine Mitspieler auf Sitzkissen, der Couch und dem gepolsterten Sessel um mich herum verteilt sind, baue ich nicht noch extra ein Spielbrett auf und verteile Spielmarker. Und habe ich Bock auf mehr Brettspiel dann bietet die Brettspielwelt mir doch die ein oder andere Option.

Nichtsdestotrotz steht unterm Strich, dass das Spiel denjenigen, die bereits von CAH und dem deutschen Kampf gegen das Spiessertum begeistert waren, die der englischen Sprache mächtig sind, und die sich zudem nach noch mehr Spiel mit in etwa gleichbleibendem Spielprinzip sehnen, sehr viel Spaß bringen wird! Hier hat man deutlich mehr Möglichkeiten und der Langzeitspielspaß für Genrefans ist ein klarer Selling Point!

HAM steht übrigens für Hating all Mankind und ich wünsche euch in diesem Sinne schonmal viel Spaß beim Hassen der Menschheit – und im Falle eines gemeinen „Bounces“ zum ungünstigsten Zeitpunkt besonders beim Hassen der Mitspieler! Solltet ihr nach dieser Rezension Lust auf Schinken bekommen haben, würde ich die Rezension mit den Worten des Verlags abschließen und vorschlagen: Wham, bam, let’s go HAM!


In a nutshell…

Game of HAM fügt dem Spielprinzip, wie man es aus Spielen wie Cards gainst Humanity (CAH) und Kampf gegen das Spiessertum kennt, ein Spielbrett und Bonuskarten sowie zahlreiche alternative Spielmodi und -regeln hinzu. Ein Spieler liest eine Frage vor und die anderen Spieler suchen sich aus ihren Handkarten die passendste und möglichst lustigste Antwort heraus. Die lustigste Antwort gewinnt und der Spieler darf je nach Wert der Fragekarte Felder auf dem Spielbrett vorrücken, wobei er ggf. Bonuskarten bekommt, die es ihm später erlauben, Spieler aussetzen zu lassen, auf dem Spielbrett zurückzuwerfen oder mehr Antwortkarten auszuspielen. Wer zuerst auf dem Zielfeld landet gewinnt, wobei sich die Regeln durch zahlreiche Vorschläge in der Anleitung anpassen lassen und das Spielgefühl teilweise leicht, teilweise grundlegend verändern. Allergings haben wir es hier mit einem nicht jugendfreien Spiel zu tun, in dem man durch moralisch und politisch verwerfliche Aussagen punkten kann. Das Spielmaterial ist sehr bunt und sicher geschmacksfrage, doch die Liebe zum Detail mit zahlreichen Flavortexten und Regelvorschlägen ist nicht zu bestreiten. Ob es jedoch ein CAH mit Spielbrett braucht, muss jeder selbst beantworten. Für Genrefans, die sich nach mehr Spiel und einem größeren Langzeitspielspaß sehnen, hat Game of HAM jedoch sicherlich einiges zu bieten.

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Game of HAM von Bill S. Naim
Erschienen beim Game of HAM LLC 
Für 3 bis 16 Spieler in ca. 30 Minuten ab 18 Jahren
sämtliche Bilder sind von uns selbst erstellt oder vom jeweiligen Pressematerial des Verlages (hier Game of HAM LLC)