02.07.2020

Kampf gegen das Spiessertum


Was strahlt mich denn da so fröhlich gelb und unschuldig vom Tisch aus an? Es ist Kampf gegen das Spiessertum von den schweizer Kampfhummeln persönlich. Doch gegen was kämpfen wir hier eigentlich? Ja, steht doch da… das Spiessertum, also all diejenigen, die sich schon beim Lesen dieser Rezension echauffieren und peinlich berührt wegdrehen werden – obwohl ich die Spielbeispiele mit Bedacht wählen werde, mit Rücksicht auf die Spießer unter euch versteht sich… Doch nun genug der Vorrede. Lasst uns gemeinsam hinabschreiten in die dunkelsten Ecken unseres Bewusstseins, wo sich vulgäre Diskriminierung und gewissenlose Niedertracht zusammentun, um mit vom Alkohol benebeltem Verstand den Kampf umgeben von Titten, Osama bin Laden und Nekrophilie zu gewinnen. Kommst du mit oder schließt du dich lieber der Spießerseite an?


Material

Eine gelb-schwarze Box und ziemlich viele weiße und gelbe Karten mit schwarzer Schrift in durchschnittlich guter Qualität. Das fasst es eigentlich ganz gut zusammen. Noch Fragen?

Ablauf

Wer bei der sehr ausführlichen Beschreibung und Bewertung des Materials aufgepasst hat, wird vielleicht bemerkt haben, dass nirgends die Rede von einer Spieleanleitung war. Das liegt daran, dass diese schlicht auf die Rückseite der Spielschachtel gedruckt wurde, was wiederum den Schluss zulässt, dass sich die Komplexität des Spielablaufs dezent in Grenzen hält. 


Ein Spieler wird Rundenboss der aktuellen Runde und liest eine der gelben Karten vor, z.B. die Karte: „_______ verleiht Sauerkraut erst die richtige Würze.“ Nein, die Karte ist nicht kaputt, die Lücke ist beabsichtigt. Denn nun ist es die Aufgabe der anderen Spieler diese zu füllen, indem sie aus den acht weißen Antwortkarten, die sie auf ihrer Hand haben, die lustigste und politisch unkorrekteste (?) auswählen und dem Rundenboss mit einem möglichst fiesen Grinsen im Gesicht verdeckt aushändigen. Im Anschluss liest der Rundenboss die auf diese Weise zusammengestellten Sätze vor und kürt den Gewinner der Runde nach eigenen Maßstäben und überreicht ihm oder ihr als Trophäe die gelbe Karte. Mögliche Sätze, die im genannten Beispiel in Kombination mit Antwortkarten entstehen könnten, sind zum Beispiel – und behaltet beim Weiterlesen bitte im Kopf, dass wir es hier mit einem Spiel ab 18 Jahren zu tun haben: „Menschenfleisch verleiht Sauerkraut erst die richtige Würze“ oder „Muttermilch verleiht Sauerkraut erst die richtige Würze“ oder „Erdoğan verleiht Sauerkraut erst die richtige Würze“. Sollte einmal keine der acht eigenen Karten zur vorgelesenen gelben passen, kann man all seine Karten durch acht neue austauschen, statt eine Karte verdeckt auszuhändigen. In dieser Runde setzt man sozusagen aus.


Nachdem der Sieger der Runde ermittelt wurde, stocken alle Kämpfer ihre weißen Karten wieder auf insgesamt acht Stück auf und der nächste Spieler wird Rundenboss. Wann das Spiel endet, können die Spielenden selbst entscheiden. Selbstverständlich lässt sich Kampf gegen das Spiessertum auch wunderbar als Trinkspiel einsetzen, in dem stets derjenige mit der unlustigsten oder laschesten Antwort sowie diejenigen, die lieber Karten austauschen als welche auszuspielen, jeweils trinken müssen. Na dann Prost!

Fazit

Da der Verlag dem Vorwurf schamlosen Plagiats bereits ganz offiziell mit unverfrorener Zustimmung und Stolz begegnet ist und des Weiteren schwört, möglichst auch in Zukunft unter der Gürtellinie bleiben zu wollen, würde wohl auch eine harsche Kritik meinerseits uneffektiv abprallen. Letztlich haben wir es hier halt mit einer deutschen Version des düster-sarkastischen Kultkartenspiels Cards Against Humanity (CAH) zu tun. Allerdings stehen die „Fragen“ und „Antworten“ des bitterbösen zukünftigen deutschen Kultkartenspiels (?) denen des großen englischen Bruders in Sachen abgrundtiefer Bosheit und unverblümter Scheußlichkeit um nichts nach.


Ob ich Kampf gegen das Spiessertum empfehlen kann? Das hängt ganz von der Zusammensetzung der Spielegruppe und dem aktuellen Alkoholpegel ab. Ich persönlich würde beispielsweise vermeiden, das Spiel mit meiner Oma und meinen Schwiegereltern zu spielen, denn so viel Schnaps kann – und sollte – an einem Abend gar nicht fließen… Mit guten Kumpels und ner Flasche Gin und Tonic Water sieht die Sache da aber schon wieder anders aus. Doch auch hier hängt der Spielspaß schwer von den Mitspielenden und deren Einstellung zum Spiel ab, und das Spiel wird sicher nicht in allen Konstellationen zuverlässig gut zünden. Wollen alle beteiligten – und im besten Fall bereits dezent alkoholisierten – Kämpfer Spaß haben und über die Satzkombinationen mit Fremdschämpotential lachen, wird es ihnen mit Sicherheit eher gelingen als denjenigen, die bereits mit der Einstellung ins Spiel einsteigen, sie stünden weit über diesem niveaulosen und kulturbefreiten Schwachsinn. Allerdings ist – auch mit den authentischsten Antispießern – nicht jede Runde gleich lustig, da die „Antwortkarten“ der Spieler nicht immer gleichgut zur vorgelesenen gelben Karte passen oder die Personen und Begriffe mancher Antwortkarten einem hin und wieder vielleicht unbekannt sind. Zum Glück hat man die Möglichkeit, eine Runde zu überspringen und Karten auszutauschen. In der Trinkspielvariante muss man sich dafür natürlich nen kräftigen Schluck gönnen, aber auch das kann ja gelegentlich eine willkommene Abwechslung darstellen. 


Darüber hinaus kam ich in den schnapslastigen Genuss die Shot-Erweiterung mit insgesamt 100 neuen Karten und dem neuen Shot-Modus auszuprobieren, in dem alle Spieler, sobald eine Karte mit Alkoholthema vorgelesen wird, einen Shot trinken „müssen“. Ob ihr diese Erweiterung braucht oder nicht, müsst ihr selbst entscheiden. Ich hätte sie nicht zwingend gebraucht, doch jetzt, wo sie schonmal da ist… 

Ich hatte Runden, mit denen Kampf gegen das Spiessertum gut funktioniert und seinen doch sehr transparenten Zweck erfüllt hat, während ich das Spiel in anderen Runden nach ein paar Durchgängen gleich wieder wegpacken konnte. Trotzdem finde ich, dass gewisse Tabuthemen sowie Diskriminierung jeglicher Art – ob beispielsweise in Form von Rassismus oder Frauenfeindlichkeit – vor allem auch durch einen solch provokant-humorvollen Zugang erfolgreich dekonstruiert und später im nüchternen Zustand ggf. weiter diskutiert werden können. Was meint ihr?


Und zum Abschluss noch ein weiteres Beispiel möglicher Satzkonstruktionen. Nicht lustig? Dann probiere es doch mal mit deinen idiotischsten Freunden in Kombination mit einer guten Flasche Rum… Ich wünsche euch jedenfalls viel Erfolg beim Kampf gegen das Spiessertum

„Die neue Studie der Uni Göttingen beweist, dass ______ zu ______ führen kann.“ Welche Karten wählst du? Hodenkrebs. Hausgemachte Ingwer-Limonade. Gleitmittel. Der Geruch in einem Altersheim. Deine Mutter. Die dunkle Seite der Macht. Terroristen. Weltfrieden.

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Kampf gegen das Spiessertum von Angela Vögtli
Erschienen beim Kampfhummel Spiele 
Für 3 bis 10 Spieler in ca. 35 Minuten ab 18 Jahren
sämtliche Bilder sind von uns selbst erstellt oder vom jeweiligen Pressematerial des Verlages (hier Kampfhummel Spiele)