26.04.2021

Die Quacksalber von Quedlinburg: Die Alchemisten


Na was braut sich denn da am Horizont zusammen? Es ist kein Gewitter, obwohl die von Knallerbsen bebenden Kessel und die anschließenden Explosionen durchaus dem markerschütternden Donnern eines fürchterlichen Unwetters gleichkommen. Doch folgen wir dem Gepolter und dem aufsteigenden Rauch, finden wir dieses Mal wieder etwas mehr vor als sonst. Denn neben den berühmtberüchtigten Quacksalbern von Quedlinburg und ihren brodelnden Kesseln, erblicken wir nicht nur die erst kürzlich eingetroffenen Kräuterhexen, sondern auch die großen Meister der Alchemie, die mit ihrer sagenumwobenen Kunst aus den vorhandenen Zutaten die nötigen Essenzen gewinnen, um die medizinischen Wundertränke für den nächsten Basar so weit zu verfeinern, dass sogar die seltensten Krankheiten wie Vampirismus und Segelohren mit ihnen geheilt werden können – oder zumindest behaupten sie das… 

Das Quacksalber-Universum geht in die nächste Runde und da sind natürlich auch die Boardgamemonkeys ganz (Segel)ohr! Doch ob es die neue Erweiterung für den ausgezeichneten Bag-Building-Hit im gehobenen Familienspielbereich überhaupt braucht, oder ob man es vielleicht bei den Kräuterhexen belassen sollte, erfahrt ihr in den folgenden Zeilen, drum würde ich euch raten, noch ein wenig zu verweilen!


Material

In dieser Erweiterung kommen nach den Überlaufkesseln ein weiteres Mal Playerboards hinzu, die dieses Mal jedoch oberhalb des Kessels platziert werden und Platz fürs fröhliche Essenzherstellen in unseren Alchemistenkolben schaffen. Diese Boards aus dicker Pappe und mit satten Farben haben genau wie die zwei weiteren Zutatenbücher für das in den Kräuterhexen neu eingeführte Narrenkraut sowie die acht Patiententafeln eine für Quacksalberfans gewohnt gute Qualität. Hinzu kommen noch 20 doppelseitig bedruckte Essenzkarten in den vier Spielerfarben, 8 Patientenmarker, 5 Essenzmarker, 20 neue Wahrsagekarten und ein neues Set Knallerbsenchips sowie 30 Narrenkrautchips, falls man noch nicht im Besitz der Kräuterhexen-Erweiterung ist. Das Design ist stimmig, das Material wirklich gut und vor allem die Auswahl der „wunderlichen“ Krankheiten mit einem Ohrwurm, einer Rübennase und einem Hexenbuckel sind durchaus ein Schmunzeln wert. Am Material gibt es also nichts auszusetzen. 


Ablauf

Sowohl beim Ablauf als auch beim Fazit werde ich mich tatsächlich nur auf die Neuerungen der Erweiterung konzentrieren und würde denjenigen, die mit dem Grundspiel und/oder der Kräuterhexen-Erweiterung noch nicht vertraut sind, vorschlagen, einen Blick auf die Rezensionen von Affenbruder Roy zu werfen, der sich 2018 und 2019 ausgiebig damit beschäftigt und zwei wunderbare Rezensionen dazu geschrieben hat.

Also, was ist neu? Beginnen wir mit dem offensichtlichsten, den Alchemisten-Tableaus und der hiermit verbundenen und neu hinzukommenden Essenzphase, die gleich nach der Zubereitungs- und noch vor der Wertungsphase (also dem Würfeln) in jeder Spielrunde erneut stattfindet. Zu Spielbeginn werden mithilfe der Patientenmarker genau drei Patienten zur Auswahl gestellt, von denen sich jeder Spieler einen aussucht und den es im Laufe der Partie zu behandeln gilt, wobei auch mehrere Spieler denselben Patienten wählen und im Anschluss die entsprechende Essenzkarte auf ihren Alchemistenkolben platzieren können. 


In der Essenzphase selbst wandern wir mit unserem Essenzmarker auf unserem Alchemistenkolben von Feld zu Feld in Richtung Essenzglas und versuchen möglichst weit voranzukommen, ehe zu Beginn der nächsten Essenzphase zunächst wieder alles auf 0 zurückgesetzt wird. Doch wie kommt man auf dieser Alchemie-Leiste – so möchte ich sie mal nennen – voran? Die Rechnung ist sehr leicht: die Anzahl verschiedenfarbiger Chips im eigenen Kessel + die Anzahl explodierter Kessel meiner direkten Nachbarn + ein Extraschritt, falls Knallerbsen mit einem Wert von genau 7 im eigenen Kessel gelandet sind. Je weiter ich komme, desto stärker fällt der Bonus aus, den ich laut Essenzkarte bekomme, wobei die Boni je nach ausgewähltem Patienten stark variieren. Während man bei der erfolgreichen Behandlung von Hühneraugen beispielsweise am Ende der Essenzphase gleich einen Bonus in Form von Rubinen, Zutaten, Rattenschwänzen und co erhält, erlaubt es mir der Effekt des Patienten mit krankhafter Vergesslichkeit, die erreichten Essenzschritte in der Zubereitungsphase auszugeben, um bereits verwendete farbige Chips zurück in den Beutel zu werfen, um sie im besten Fall erneut während der gleichen Zubereitungsphase aus dem Beutel zu ziehen. 

Abgesehen davon gibt es im Grunde nur noch die neuen Wahrsagekarten sowie die zwei neuen Zutatenbücher fürs Narrenkraut, zu denen ich aus Spoilervermeidungsgründen gar nicht so viel sagen möchte – denn ich finde, dass vor allem auch das Entdecken der neuen Zutateneffekte zum anfänglichen Spielspaß dazugehört. Daher möchte ich hier nur beispielhaft auf einen neuen Effekt eingehen, der es dem Spieler erlaubt das Narrenkrautplättchen um so viele Felder weiter nach vorne zu platzieren, wie es dem aktuellen Wert aller sich derzeit im eigenen Kessel befindlichen Knallerbsen entspricht. Und manche – aber nicht alle – der neuen Wahrsagekarten nehmen explizit Bezug auf die Alchemie in dieser Erweiterung oder die Kräuterhexen in der vorherigen.


Fazit

„Ich bin geheilt, ich bin geheilt!“, hallt es vom Basar, und tatsächlich scheint die Rübennase etwas kürzer geworden zu sein… Was wollen wir als nächstes heilen? In meiner ersten Partie habe ich mich jedoch nicht an der Rübennase, sondern am Hexenbuckel versucht, während meine beiden Kontrahenten die sehr einstiegsfreundlichen Hühneraugen gewählt haben, und damit insgesamt deutlich besser gefahren sind. Insgesamt war jene erste Partie wirklich spaßig, dennoch lief sie im Vergleich zu gewohnten Quacksalberpartien ein wenig aus dem Ruder. Denn erstens erzielten wir alle deutlich mehr Punkte als sonst, der Erstplatzierte war wirklich absolut und unzweifelhaft uneinholbar vorne, und die Partie dauerte alles in allem gute zwei Stunden – wobei das natürlich auch darauf zurückzuführen ist, dass wir uns erst mit unseren neuen Patienten vertraut machen mussten.

Die Folgepartien waren diesbezüglich nicht ganz so verrückt, doch es kann mit dieser Erweiterung durchaus eher passieren, dass sich jemand mit dem richtigen Ziehglück schnell vorne absetzt und die Rattenschwänze daran kaum mehr etwas ändern können. Denn wo man sonst bei einer schlechten Runde lediglich mal auf ein paar Siegpunkte verzichten musste, dafür aber immerhin zusätzlich zur Kaufphase mit Rattenschwänzen rechnen konnte, haben die glücklicheren Plättchenzieher mit den Alchemisten nicht nur den Vorteil, sowohl punkten als auch kaufen zu können, sondern sie profitieren zusätzlich von ihrem Bonus in der Essenzphase, sodass die Rattenschwänze hier nicht mehr für den nötigen Ausgleich sorgen können. 


Jetzt, da ich womöglich auf die größte Schwäche der Erweiterung hingewiesen habe, möchte ich den Rest des Fazits damit verbringen, den Quacksalberfan der aller ersten Stunde in mir herauszukehren und meine leicht rosarot getönte Brille wieder aufzusetzen. Denn mir macht es sehr viel Spaß, Hühneraugen, Ohrwürmer und Vampirzähne zu behandeln und einfach noch mehr Optionen zu haben. Es ist cool, dass man ggf. unter verschiedenen Voraussetzungen in die Partie startet, und die unterschiedlichen Patienten bringen durchaus nötige Veränderungen im eigenen Spielstil mit sich. Denn während der eine Patienteneffekt zwar schwieriger, doch gleichsam effektiver für Siegpunkte sorgt, sind andere Patienteneffekte zuverlässiger, dafür vielleicht aber auch nicht ganz so stark. Insgesamt sorgen die verschiedenen Spielweisen der Patienten für noch mehr Varianz und auch die beiden neuen Zutatenbücher reihen sich in diesen Pluspunkt geschmeidig ein.

Vor allem finde ich es auch schön, dass das Explodieren der Kessel nun positive Auswirkungen für meine Nachbarn hat, sodass man dann vielleicht doch etwas vorsichtiger in der Zubereitungsphase ist. Andererseits habe ich natürlich einen Vorteil davon, genau auf einen Knallerbsenwert von 7 zu kommen, wodurch ich auch ohne die Mithilfe meiner Mitspieler auf den gewünschten Essenzbonus kommen würde, also vielleicht doch noch ein wenig weiter zocken? Und soll ich die besonders starke 4er-Zutat nochmals kaufen oder doch ein oder zwei andersfarbige 1er-Chips, da mir ja nur verschiedenfarbige Chips im Kessel auf der Essenzleiste weiterhelfen? Genau solche Überlegungen bringen Freude, machen das Spiel aber natürlich auch komplexer, sodass Familien sicher zunächst mit dem Grundspiel beginnen und sich dann mit ein wenig Brauerfahrung nach und nach mit den Erweiterungen vertraut machen sollten. Außerdem sind die neuen Wahrsagekarten teils ganz schön stark, aber auch ziemlich cool und bereichern das Spiel meiner Meinung nach ganz klar.


Und übrigens: danke für die Extra-Ladung Knallerbsen, denn unsere sahen nach einer beachtlichen Anzahl an Partien doch ziemlich mitgenommen aus.

Braucht es jetzt also die Alchemisten für den vollständigen Quacksalber-Spaß? Für mich persönlich schon, aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass vor allem auch die angebrachten Punkte in dieser Rezension dazu führen werden, dass sich der ein oder andere wieder von den Alchemisten abwenden wird. Durch die neue Erweiterung gibt es halt noch mehr und das spricht mich als Vielspieler natürlich an, doch da ich Quacksalber seit eh und je mehr als Familien- und weniger als Kennerspiel betrachtet habe, würde ich alles in allem nicht sagen, dass die Erweiterung ein Muss für jedermann und jedefrau ist. Der Kenner in mir hatte eine Menge Spaß, doch ich weiß noch nicht, ob ich meinen Patenkindern die Alchemisten überhaupt zeigen soll, oder ob ich nicht für die Quacksalber als Familienspiel bei den Kräuterhexen bleibe, denn diese sind ein klares Muss in meinen Augen. 

Ich hoffe, ihr konnten meinen Gedankengängen folgen, weiß auch, dass in dieser Rezension einiges an Kritik angebracht wurde, möchte aber nochmals betonen, dass ich großer Quacksalberfan bin und ich mich auch jetzt gerade in diesem Moment wieder – ob mit oder ohne rosaroter Brille – auf die nächste Partie freue, und in dieser möchte ich auf meinen geliebten Alchemistenkolben nun mal nicht verzichten…

 

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Die Quacksalber von Quedlinburg: Die Alchemisten von Wolfgang Warsch
Erschienen bei Schmidt Spiele
Für 2 bis 5 Spieler in ca. 45 Minuten ab 10 Jahren
sämtliche Bilder sind von uns selbst erstellt oder vom jeweiligen Pressematerial des Verlages (hier Schmidt Spiele)