Unterschiedliche Spielegenre bzw. -mechaniken sorgen bei verschiedenen Spielern wohl für diverse Reaktionen, denen man mit zwei grundlegenden Phrasen Ausdruck verleiht: (1) „Oh nein, nicht noch ein…“ und (2) „Oh cool, ein weiterer…“. Bei mir würde es sich nach dieser Logik wahrscheinlich wie folgt anhören: „Oh nein, nicht noch Area Control Spiel!“ und „Oh cool, ein weiterer Deckbuilder!“. Wie würde euer Satz lauten, wenn es um Plättchen-Lege-Spiele geht, einem doch sehr populären Genre, das mit My City von Reiner Knizia zuletzt sehr nah an der Auszeichnung zum Spiel des Jahres war und bereits in der Vergangenheit mit klassischen Vertretern wie Carcassonne große Erfolge feiern durfte? Ich muss sagen, dass ich trotz der Fülle an Spielen nach wie vor nichts gegen gute Vertreter des Genres habe, und für meine Frau gehört das Legen von Plättchen eindeutig zu ihren liebsten Spielemechaniken.
In Tales of Glory legen wir ebenfalls Plättchen und versuchen spielthematisch möglichst ruhmreiche Abenteuer mit unseren Helden zu erleben; mit ihnen gegen gefährliche Monster zu kämpfen, atemberaubende Orte zu besuchen und unglaubliche Schätze zu finden. Hierbei beginnen wir lediglich mit ein paar Münzen sowie ein wenig Zaubertrank, und auch unsere Kampfkraft sowie unsere Magie lässt zunächst noch zu wünschen übrig. Zum Glück werden unsere Helden in diesem Plättchen-Lege-Ressourcen-Management-Abenteuer-Spiel mit jeder Begegnung, jedem Ort und jedem gefundenen Schatz reicher und stärker, sodass am Ende auch die gefährlichsten Kreaturen durchaus bezwingbar erscheinen.
Ob uns das Spiel überzeugt hat und ob uns auch in Zukunft noch die Abenteuerlust packen wird, erfahrt ihr in dieser Rezension. Also, auf die Plättchen, fertig, los!
Material
Das Spiel beinhaltet u.a. 74 Abenteuerplättchen aus dicker, stabiler Pappe; ein doppelseitiges ebenfalls aus dicker Pappe gefertigtes Abenteuerboard, auf dem je nach Spielerzahl pro Runde sechs bis acht Plättchen platziert werden; 40 Auswahlkarten in guter Standardqualität; und diverse Tokens wie Münzen, Tränke, Siegpunkte und Schlüssel aus Pappe, die sich ebenfalls gut angreifen. Für die Materialqualität gibt es ein Plus, wohingegen mich das Design nicht allzu sehr vom Hocker reißt. Obwohl die Illustrationen und das Material insgesamt sicher nicht per se hässlich sind, wirken sie auf mich persönlich doch etwas langweilig und irgendwie etwas trostlos. Der Fairness halber sollte ich jedoch erwähnen, dass meiner Frau das graphische Design durchaus gefallen hat. Die Geschmäcker sind am Ende des Tages wohl doch alle verschieden, aber ich für meinen Teil hätte mir stimmigere und farbenfrohere Illustrationen gewünscht.
Ablauf
Über mehrere Runden gibt es zunächst immer eine Phase, in der jedem Spieler ein Plättchen zugeordnet wird, und im Anschluss darauf eine Phase, in der alle Spieler ihr erhaltenes Plättchen gleichzeitig in ihrem eigenen „Legend Board“ verbauen. Die erste Phase läuft stets so ab, dass sich jeder Spieler eine der 6-8 ausliegenden Plättchen aussucht und die entsprechende Auswahlkarte verdeckt vor sich legt. Haben alle Spieler auf diese Weise ein Plättchen gewählt, werden alle Auswahlkarten aufgedeckt und beginnend beim Startspieler nehmen die Spieler im Uhrzeigersinn ihr ausgewähltes Plättchen – falls es noch nicht von einem anderen Spieler genommen wurde. Ansonsten muss man an einer zweiten Auswahlrunde teilnehmen, obwohl sich die Spieler wieder vom Startspieler ausgehend im Uhrzeigersinn nun nacheinander einfach ein beliebiges Plättchen nehmen, bis schließlich alle Spieler ein Plättchen genommen haben. Allerdings wechselt in dieser Phase bereits der Startspieler, abhängig davon, welcher Spieler das Plättchen auf dem Slot mit der niedrigsten Zahl genommen hat. Allerdings ist in dieser Phase zu beachten, dass für Plättchen auf der oberen Auswahlreihe eine Extraressource zu zahlen ist.
Anschließend werden – wie bereits erwähnt – alle Plättchen verbaut, wobei man sie vorab ggf. bezahlen muss, ehe man nach dem Anbau eine Belohnung erhält. Gold und Tränke sind Ressourcen, die man tatsächlich abgeben muss beim Bezahlen, wohingegen man die auf den Plättchen zu „bezahlende“ Kraft und Magie nur „besitzen“ muss. Fehlt einem zudem Macht oder Magie, kann man für die fehlenden Kraft- oder Magiepunkte auch jeweils einen Trank ausgeben – denn dieser hebt die Kraft oder Magie kurzzeitig an, ohne dabei dauerhaft für mehr Kraft oder Magie zu sorgen.
Nun da wir zum Herzstück des Spiels kommen, sollten wir uns die Plättchen einmal genauer ansehen. Im Grunde gibt es vier verschiedene Typen von Abenteuerplättchen: Monster, Charaktere, Orte und Schätze. Darüber hinaus hat jedes Plättchen an allen vier Kanten jeweils entweder gar nichts, ein Verbindungsstück ohne Schlüsselhälfte, oder ein Verbindungsstück mit Schlüsselhälfte. Beim Anbauen des Plättchens gilt, dass es immer aufrecht platziert an mindestens ein bereits verbautes Plättchen orthogonal angrenzen und darüber hinaus alle Verbindungsstücke angrenzender Plättchen „bedienen“ muss, d.h. eine leere Kante darf nicht an eine Kante mit Verbindungsstück grenzen. Allerdings darf ein Verbindungsstück mit Schlüsselhälfte durchaus an eines ohne Schlüsselhälfte angrenzen, wobei man dann – Überraschung! – keinen Schlüssel dafür erhält.
Als Belohnung für Plättchen bekommt man Ressourcen wie Gold, Tränke, Schlüssel, Kraft, oder Magie sowie Siegpunkte, um die es am Ende des Spiels bei der Auswertung natürlich hauptsächlich geht. Außerdem gibt es Plättchen, die Bedingungen für zusätzliche Siegpunkte am Spielende anzeigen. Ist auf einem Plättchen eine Schatztruhe abgebildet bekommt man die darin enthaltene Belohnung jedoch erst, wenn man sie mit einem Schlüssel öffnet, und Schlüssel bekommt man entweder als Belohnung für angelegte Plättchen, für das Zusammenbringen zweier Schlüsselhälften oder für das Abwerfen eines Plättchens – statt es anzubauen.
Eine besondere Art von Plättchen sind die Ortsplättchen, die erst dann Belohnungen bringen, wenn ein Plättchen an einer der Kanten angelegt wird, wobei hier oftmals auch gewisse Bedingungen gefordert sind, sodass man die Belohnung der oberen Kante beispielsweise nur dann erhält, wenn an der oberen Kante ein Monsterplättchen angelegt wird.
Auf diese Weise wird solange weitergepuzzelt, bis alle Plättchen von den drei verschiedenen Plättchenstapeln (I, II, III) verbaut wurden, wobei nicht immer alle Plättchen nach der Plättchenauswahl liegen bleiben, da je nach Spielerzahl eine gewisse Anzahl an Plättchen auf den Auswahlslots nach unten rutscht, ehe die restlichen Slots wieder mit neuen Plättchen aufgefüllt werden. Der Spieler mit den meisten Siegpunkten gewinnt, wobei man die Plättchen berücksichtigen muss, die erst am Spielende nach Erfüllung gewisser Bedingungen Extrasiegunkte bringen.
Fazit
Grundlegend hat mir Tales of Glory schon gefallen und meine Frau ist da ähnlicher Meinung. Besonders gut hat uns vor allem gefallen, dass man nicht nur ein Plättchen auswählen, sondern es auch gleich geschickt bei sich verbauen muss, wobei man natürlich versucht, Schlüsselhälften zusammenzuführen, die Belohnungsbedingungen der Ortsplättchen zu erfüllen und sich das eigene „Legend Board“ nicht durch zu viele leere Kanten zu sehr zu verbauen – wobei Plättchen mit mehreren leeren Kanten natürlich tendenziell stärker sind. Zudem machen vor allem die Schatztruhen und die Ortsplättchen wirklich Spaß und auch thematisch finde ich es stimmig, dass beispielsweise Monsterplättchen gewisse Kraft- und Magie erfordern, dafür aber tendenziell viele Siegpunkte bringen. Auch schön funktioniert die Kombination aus Plättchen-Legen und Ressourcenmanagement sowie das Fahren verschiedener Strategien, auch wenn sich die Optionen bei diesem vielleicht leicht gehobenen Familienspiel natürlich in Grenzen halten.
Nicht allzu aufregend erscheint mir die Plättchenauswahlphase, denn die dort verwendete Mechanik funktioniert erst ab mehreren Spielern und sorgt erst dann für etwas Spannung. Spielt man beispielsweise zu dritt, kann es lediglich für den Spieler an zweiter Stelle Sinn ergeben, ein Plättchen zu wählen, das der Startspieler vermutlich nicht wählen wird. Und zu zweit fällt im Grunde die gesamte erste Spielphase weg, was man in der Spieleanleitung gut und gerne hätte erwähnen können.
Außerdem hält sich die Anzahl an Plättchen in Grenzen, sodass man relativ schnell alles gesehen hat. Hieraus ergibt sich der Vorteil, dass man in gewisser Weise strategischer spielen kann, da abzusehen ist, wann ungefähr in welcher Spielphase, welche Plättchen auftauchen – wobei es dann hauptsächlich von der Spielerreihenfolge ankommt, wer die entsprechenden Plättchen absahnt. Andererseits könnte dieser Fakt für viele Spieler wohl auch den Wiederspielreiz mindern.
Insgesamt hatten wir mit Tales of Glory jedoch unseren Spaß und sowohl das Thema als auch die gelungene Kombination aus Plättchen-Lege- und Ressourcenmanagementspiel könnte die Spielesammlung der ein oder anderen Familie mit Sicherheit bereichern – wobei der Einstieg durchaus komplexer sein mag als es bei anderen seichteren Familienspielen der Fall ist. Nach einigen gespielten Partien werden wir das Spiel wohl eine Weile nicht mehr aus dem Spieleschrank holen, aber aussortieren werden wir es auch nicht. Vielmehr freue ich mich darauf, das Spiel demnächst mit meinen Patenkindern auszuprobieren und es – vor allem weil es meiner Frau wirklich gut gefällt – hier und dort doch nochmals auf den Tisch zu holen. Alles in allem handelt es sich also um ein gelungenes gehobenes Familienspiel mit schönem Thema, teils interessanten, teils nicht allzu spannenden Mechaniken, einem für mich eher mäßigen Design, gutem Material und einem durchaus vorhandenen aber auch nicht endlosen Wiederspielreiz. Am Ende werden einige Familien und ggf. Kenner sicher ihre Freude haben und wir wünschen viel Spaß bei euren persönlichen Abenteuern in Tales of Glory.
Für wen ist das Spiel geeignet?
Kinder und Familien: Da es sich meines Erachtens nach eher um ein gehobenes Familienspiel handelt, sollten die Kinder doch mindestens acht oder älter sein, oder aber eine Menge Spieleerfahrung mitbringen.
Kenner und Experten: Da sich der Auf- und Abbau sowie die Spieldauer in Grenzen halten, könnten Spielerunden darüber nachdenken, es als seichteren und doch spaßigen, etwas größeren Absacker auszuprobieren.
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Tales of Glory von Romain Chastan
Erschienen bei BoardgameBox
Für 2 bis 5 Spieler in ca. 45 Minuten ab 10 Jahren
sämtliche Bilder sind von uns selbst erstellt oder vom jeweiligen Pressematerial des Verlages (hier BoardgameBox)