11.01.2023

ChronoCops: Einsteins Relativitätskrise und Da Vincis Universal-Dilemma


Hand aufs Herz: Woran musstet ihr denken, als ihr zum ersten Mal von ChronoCops gehört habt? Also ich dachte unweigerlich an Time Stories. Und ich fand Time Stories eigentlich schon immer toll. Ja, ok, die Qualität ließ nach, aber das Prinzip, mit Karten ein „Abenteuerbuch“ nachzuspielen mochte ich sehr. Nun also ChronoCops. Wieder Zeitreise, wieder kartenbasiert, aber mit lustiger Comic-Grafik, scheinbar spaßiger Thematik, dem Versprechen, eine gewisse Ähnlichkeit zu Point-and-Click-Adventures zu haben und viel Humor zu bieten. Und schon bin ich geistig bei etwas ganz anderem als Time Stories gelandet: Mal Hand aufs Herz: Wer liebt denn bitte nicht Day of the Tentacle, Maniac Mansion, Monkey Island und und und…also alle guten alten Lucas Arts Adventures?

Oh je….haben sich die Macher von ChronoCops wirklich einen Gefallen damit getan, mir (sicherlich nicht ganz ungewollt) solche Assoziationen zu bieten? Grade weil Zeitreisen und Point-and-Click ja direkt zu den Tentakeln führen, die bis heute zu Recht als eines der besten Point-and-Click-Adventures zählen? Um die Frage mal indirekt zu beantworten: Habt ihr schon mal ein Brettspiel gespielt, in dem ihr ernsthaft darüber nachgedacht habt, ob es sinnvoll wäre, einen von Einstein durchgekauten Kaugummi durch die Zeit in die Zukunft mitzunehmen, um ihn dort in einem Waschsalon in einen Trockner zu stecken, damit ihr vielleicht später (also in der Vergangenheit, also früher, also…ihr wisst, was ich meine), damit etwas anfangen zu können – ohne zu wissen, was genau eigentlich, weil ihr noch gar nicht so weit seid und ihr es eigentlich nur machen wollt, weil ihr es grade könntet? Nein? Aber denkt ihr bei diesen Gedanken eben auch an Lucas Arts Adventures? Also ich schon, und ich finde es, schlicht und ergreifend unfassbar gut. Klar, mit viel Nostalgie im Herzen. Umso spannender, dass wir ChronoCops zu viert gespielt haben und unsere Kids mit 13 und 8 so gar nichts mit Lucas Arts anfangen können und meine Frau weit weniger mit PC-Games am Hut hat als ich….


Aber schauen wir uns erstmal an, was ChronoCops denn eigentlich bietet: In der jeweiligen Packung liegen ein großer und ein kleiner Kartenstapel, eine Decoderscheibe und zwölf Zeitkugeln in Form von Pappmarkern. Sehr schön: Man braucht keine App, man hat alles, was man braucht UND man macht hier nichts kaputt UND das Spiel kommt nicht mit einem künstlich erzeugten Zeitdruck daher, man hat alle Zeit der Welt in die Zeitreisen einzutauchen. Die großen Karten werden in mehrere Stapel mit unterschiedlichen Zeitlinien aufgeteilt und die kleinen Karten werden in nummerierte Gegenstände/Ereignisse sowie Tippkarten getrennt. Halt. Zeitlinien? Richtig gehört. Man startet das Spiel in einer Zeitlinie und kehrt dann in die Vergangenheit dieser Zeitlinie zurück, ändert etwas und löst dadurch eine neue Zeitlinie aus, in der irgendwas anders läuft. Kennt man aus Zurück in die Zukunft. Dort wurde das mit Fotos gelöst oder dem Sportalmanach als Auslöser.

Je Zeitlinie hat man Zugriff auf bestimmte Orte, in denen Rätsel auf einen warten. Löst man diese, bekommt man Zugriff auf weitere Orte, andere Zeitlinien, bestimmte Ereignisse oder Gegenstände. Manchmal werden einem aber auch einfach nur Fragen gestellt und man muss eine Multiple-Choice Antwort geben. Hierfür gibt es Karten von A bis D. Die Karte der jeweiligen Antwort legt man auf die Dekoderscheibe und die jeweilige Ortskarte dockt man darunter an. Dann entsteht ein Pfad von der Ortskarte über die Antwortkarte bis hin zu einer Zahl auf der Scheibe. Diese Zahl entspricht der Gegenstands-/Ereigniskarte, die man bekommt. Ebenso funktioniert der Einsatz von Gegenständen an Orten. Nutze Kaugummi mit Trockner eben, nur in Form eines Brettspiels. Das ist schlicht genial umgesetzt. Kommt man mal nicht weiter, nutzt man die Rückseite der Dekoderscheibe und legt dort die Ortskarte an und bekommt auf die gleiche Weise gezeigt, welche Tippkarte man sich anschauen sollte. Jeder Tipp kostet dabei aber wertvolle Zeitkugeln. Auch wenn man mal ein Rätsel falsch löst oder anderweitig falsch abbiegt, verliert man Zeitkugeln. Sind alle weg, passiert nichts schlimmes, man bekommt dann halt keine weiteren Tipps mehr. Und natürlich bestimmt die Anzahl der am Ende vorhandenen Zeitkugeln die Wertung. Die uns aber in unseren Runden völlig schnuppe waren.


Warum? Weil es bei den meisten Escape-/Story-Puzzle-Spielen nicht um die Wertung geht, sondern darum, mit einander Rätsel zu lösen und eine tolle Geschichte zu erleben. Der Weg ist das Ziel, und dieser Weg macht mit ChronoCops gute 70-90 (Einstein) bzw. 120-150 Minuten (Da Vinci) lang wirklich Spaß. Da Vinci ist dabei nicht besser oder schlechter als Einstein, sondern schlicht etwas umfangreicher und ein wenig kniffliger. Da hängt es dann von der Spielgruppe ab, wie gut das Sitzfleisch ist. Unsere Kids (ja, auch die 8jährige) blieben bei den Spielen aber immer voll dabei und rätselten fröhlich mit und freuten sich über jede richtige Lösung. Das liegt zum einen an der tollen Optik der Spiele und dem hierüber transportierten Humor. Denn dieser ist durch und durch familientauglich und eben in bester Lucas Arts Manier leicht überzeichnet. Wem das zu „albern“ ist, braucht die ChronoCops vermutlich nicht. Zum anderen liegt es aber auch an den Rätseln. Denn diese sind so gestrickt, dass man sie als Erwachsener meist schnell lösen kann, man gleichzeitig aber auch den Kids am Tisch zeitweise nur kleine Schubse in die richtige Richtung geben braucht, damit sie selbst das Rätsel lösen können. Viele Rätsel lösen sich durch den Kontext der Geschichte von allein. Ja, klar, das ist nicht die hohe anspruchsvolle Rätselkunst (das waren die Lucas Arts Adventures auch nie!), aber es ist eine richtig tolle Familienunterhaltung. Gleiches gilt für die Stories. Auch diese sind nicht hochtrabend komplex verschachtelt oder zeichnen eine tiefe Charakterentwicklung nach. Sollen sie auch gar nicht. Hier steht der Spaß an erster Stelle.


In manch anderen Rezensionen hört man davon, dass sich einige bei Da Vinci etwas verrannt hatten und ihnen das Hilfesystem nicht geholfen hat. Wir hatten dieses Problem nicht, da wir das Hilfesystem praktisch nicht brauchten. Hier scheint aber noch ein kleiner Nachbesserungsbedarf zu bestehen, den ich hier aber nur erwähnen, nicht beschreiben kann, da wir die Situation nicht erlebt haben. Aber ironischerweise klingt auch das für mich nach Monkey Island und Konsorten. Denn wer hat damals denn nicht auch mal bei dem einen oder anderen Rätsel in die Komplettlösung lubschen müssen? Ok, die gibt es für die ChronoCops (noch) nicht. Was manche auch schade finden könnten: Man kann das Spiel definitiv nur einmal spielen, denn die Stories fahren durchaus wie auf Schienen durch das Spiel. Es gibt keine kritischen Entscheidungen oder alternative Enden. Aber mal ehrlich: braucht man sowas wirklich? Hat jemand wirklich jemals Heavy Rain x Mal von Anfang bis Ende konsequent durchgespielt, um alle Enden in voller Wirkung zu genießen? Ich jedenfalls nicht. Dann lieber ein neuer Fall und dort eine komplett neue Geschichte erleben.

Lange Rede kurzer Sinn: Wer also die guten alten Lucas Arts Adventures mag, liegt mit ChronoCops goldrichtig, völlig egal, wie alt man ist (gut, wer Lucas Arts überhaupt noch kennt, dürfte eh nicht mehr ganz frisch…ach egal). Wir jedenfalls hoffen, dass die beiden Titel tatsächlich nur der Start zu einer großen Reihe sind und die angekündigten weiteren Teile nicht das Ende sein werden.
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ChronoCops von Matthias Prinz und Martin Kallenborn
Erschienen bei Pegasus Spiele
Für 1 bis 6 Spieler in ca. 60 -  150 Minuten ab  10 Jahren


sämtliche Bilder sind von uns selbst erstellt oder vom jeweiligen Pressematerial des Verlages (hier Pegasus Spiele)
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