20.06.2023

Scarface 1920




Ich mache euch allen ein Angebot, welches ihr nicht ablehnen könnt, und zwar dieses Review zum Mafia-Spiel Scarface 1920. Ein Spiel über Kickstarter (Redzen Games) und Spieleschmiede (Grimspire) finanziert und in dem es nicht nur um Mafia geht, sondern auch um die Prohibition in Amerika, im Speziellen Chicago. Na und welcher Name fällt euch bei diesen Stichwörtern ein? Genau! Al Capone! Und ja, auch dieser berüchtigte Mann kann gespielt werden!

Aber nebst Capone und der “Chicago Outfit”-Gang kann man auch in die Rolle von Stephanie St. Clair mit der “Black Wolves Gang”, Arnold Rothstein mit den “Seven Gems” und Dean O’Banion mit der “North Side Mob” schlüpfen. Alles Personen, die es in der besagten Zeit tatsächlich gegeben hat (u.a. aber in New York City) und im Spiel nun mit leicht asymmetrischen Fähigkeiten verwendet werden.




Bei dem Thema könnte man nun ein richtiges Ameritrash-Fest erwarten mit viel Knall, Bumm-Bumm und Würfelei - aber weit gefehlt. Bei Scarface 1920 handelt es sich um ein astreines Eurogame mit Area-Control/Influence, Rohstoff-Verwaltung und im weitesten Sinne Handkarten-Management mit Deckbuilding-Elementen.

Mit all diesen Elementen möchten wir in insgesamt vier Runden die Prohibition so gut nutzen, dass wir bis zur Aufhebung das meiste Geld sammeln konnten, dafür sollten wir natürlich in Chicago gut vertreten sein und Stadtteile übernehmen, dort Läden wie Casinos, Bordelle und Nachtclubs betreiben und im Hinterzimmer Waffen und wie sollte es anders sein Alkohol lagern um diese für jede Menge Cash zu verkaufen!

Wir schicken unsere Gang-Mitglieder in die Unterwelt und besorgen uns Nachschub an Gang-Mitgliedern bzw. Komplizen, Waffen, Alkohol und dergleichen oder wir schicken sie zu den Behörden, um mit Hilfe von ein paar Scheinen bestimmte Dinge einfach zu regeln. Oder wir starten einen frontalen Angriff gegen gegnerische Gangs, um die Oberhand über bereits bestehende Läden in Stadtteilen zu erhalten.




Getrieben werden die Aktionen mit Karten, von denen wir zu Beginn nur drei auf die Hand nehmen. Jede dieser Karten steht für ein Gangmitglied und bringt eine Kampfkraft und/oder Einfluss mit sich, die wir wiederum für die Aktionen benötigen. So wählen zu Beginn also die Karten, die wir nutzen möchten und legen diese aus. Jeder Handlager bringt dann noch eine Aktion mit sich, die man nutzen kann und in der richtigen Kombination von verschiedenen Vorgaben, kann man Jobs erfüllen. Hat man z.B. einen Handlager gespielt, der besonders Schlagkräftig ist, gibt dazu noch Extra-Geld aus und hat den passenden Job “Boxclub” zur Hand, ist das nun die Chance solch einen zu eröffnen und den Job zu erfüllen. Dieser Boxclub gibt uns dann weitere Möglichkeiten und das ist nur ein Beispiel, denn es gibt wirklich jede Menge Jobs, die thematisch hervorragend passen.

Wir können aber auch Komplizen anheuern, welche ebenfalls vielseitig daherkommen, seien es leichte Damen oder ziemlich reiche Leute, die noch reicher werden wollen. Diese bringen ebenfalls Kampfkraft, Einfluss und super interessante Aktionen mit sich, die man zum Vorteil nutzen kann. Auch der Nachschub muss gewährleistet sein, also müssen weitere Lieferanten für Waffen und Alkohol gefunden werden.




Und auch die Chefs persönlich kommen zum Einsatz und mischen mit. Im Laufe der Partie können wir diese stärker machen und sie haben bereits von Beginn an eine riesige Auswahl an Extra-Aktionen, es will also gut überlegt sein, wann diese zum Einsatz kommen.

Natürlich könnt ihr nicht einfach machen, was ihr wollt, denn in der Stadt fahren Polizisten Streife, die aber gegen ein gewisses Entgelt gern mal wegschauen. Aber das FBI lässt sich nicht so leicht abhandeln und so gibt es einen Officer mit Namen Eliot Ness, der allen auf den Fersen ist. Je mehr wir machen, desto auffälliger werden wir auch und knallharte Razzien können die Folge sein, die uns einiges kosten können und damit mein ich nicht nur Geld. Schnell können unsere Leute auch im Knast landen…

Nach drei Runden wird dann das Ende der Prohibition ausgerufen und wir schauen nach, wer das meiste Geld sammeln konnte und somit zum Oberboss der Unterwelt aufsteigt.

Scarface 1920 bietet ein tolles Eurogame mit einfach fantastischem Thema. Sowas wünsche ich mir viel häufiger! Sicherlich ist vielleicht nicht immer alles 100%ig stimmig, aber es macht schon mehr Spaß als bei den bekannten, eher generischen Eurogames! Vielleicht fehlt ein wenig die Action-Komponente, denn auch wenn es mal zu Angriffen kommt, fühlt sich dies eher lahm an und endet in einer schnöden Rechnerei um Angriffs- und Verteidigungswerte. Hier wäre ein kleiner mechanischer Kniff mit Extrakarten oder Würfel schön gewesen - so fühlt sich das eher blutarm an.




Was nicht heißt, dass man den anderen nicht ordentlich in die Suppe spucken kann. Mit genug Einfluss bei den Behörden, kann man z.B. ein Hauptquartier eines Mitspielers aufdecken und dieser verschwindet vom Plan, oder man schickt die Streifen zu den Mitspielern, was manche Aktionen deutlich teurer macht. Chicago ist nicht groß und gerade zu viert kann es deutlich zur Sache kommen. Bei 2 Spielern kann man sich entscheiden, ob man eher ruhig oder offensiv agieren möchte.

Dickes Lob natürlich auch für das Material - man kratzt hier eindeutig am “überproduziert” - denn es gibt hübsche Miniaturen, Autos, Gebäude und das macht auf dem Tisch ordentlich was her. Auch die grafische Gestaltung gefällt mir sehr gut inkl. Symbolik, die für mich eindeutig ist.

Scarface 1920 ist auf jeden Fall ein anspruchsvolles Eurogame, bei dem man mehr machen möchte, als möglich ist und jede Aktion wohl überlegt sein muss, damit man nicht Dinge verschwendet, die man später benötigt. Man würde es wohl Mangelspiel nennen, aber das liegt hier nicht an den Ressourcen, sondern an den Handkarten, die man nur begrenzt nutzen kann.

Fans vom Thema mit Liebe für Eurogames sollten auf jeden Fall einen Blick riskieren und ihren Spaß daran finden, insgesamt eine rundum gelungene Spielerfahrung, die aber leider auch Ihren Preis hat.

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Scarface 1920 von Toni Serradesanferm und Daniel Simon
Erschienen bei Redzen Games & Grimspire
Für 1 bis 4 Spieler in ca. 90-150 Minuten ab 14 Jahren
sämtliche Bilder sind von uns selbst erstellt oder vom jeweiligen Pressematerial des Verlages (hier Redzen Games & Grimspire)