20.11.2023

Schatten der Macht


Aventurien. Ein Kontinent, den man als RPG-Liebende, Fantasylesende oder auch als Computerspielende durchaus kennen kann. Meine persönlichen Berührungspunkte mit dem Schwarzen Auge sind, das muss ich an dieser Stelle leider zugegeben, ehrlich gesagt nicht all zu groß. Als Teenie mal in die alten PC-RPGs (vielleicht war es sogar nur eins?) reingeschnuppert, einmal bei einem Kumpel einen P&P-Helden erstellt (und ein einziges Abenteuer in einer kleinen Gruppe bestritten), an vielen Büchern vorbeigelaufen. Gereizt hat es irgendwie immer, aber für Pen & Paper RPGs fehlte im Reallife schon immer schlicht die Zeit (und erst recht die Muße). Für Brettspiele muss aber natürlich Zeit sein und da bot es sich an, dass ich mir Schatten der Macht einmal anschauen durfte. Doch bevor ich zum eigentlichen Spiel komme, noch kurz vorab: Da ich von DSA kaum eine Ahnung habe, kann ich nichts dazu sagen, wie sich das Spiel thematisch in der DSA-Welt schlägt. Tut mir leid. Ich betrachte das Spiel wie jedes andere Euro-Game, von denen ich thematisch ebenfalls oftmals keine Ahnung habe und was meist nicht wirklich schlimm ist, hehe.


Nach dem Öffnen der Schachtel bekommt man neben der Anleitung ein Zusatzblatt mit einem Einführungsspiel („kein Regellesen vorab notwendig“) sowie ein Heftchen mit einigen Hintergrundinfos zur Welt des Schwarzen Auges präsentiert. „Kein Regellesen klingt gut“, dachte ich mir und baute das Spiel entsprechend auf. Dabei muss ich hier schonmal den wirklich toll gestalteten, großen Spielplan loben. Der macht wirklich was her! Die Kurzeinweisung zum Einführungsspiel dagegen, lies bei mir im Kopf ein-zwei Fragezeichen übrig, die sich jedoch schnell erübrigt hatten. Denn nachdem man das Beiblatt studiert, alles aufgebaut hat und losspielen kann, spielt man tatsächlich eine (leicht abgespeckte) Partie in beliebiger Besetzung, unterbricht diese aber immer wieder durch 1-2 Seiten Regelstudium. Als Resultat hat man nach dieser Partie aber tatsächlich in didaktisch sehr gut aufbereiteter Art und Weise fast das komplette Regelheft durch und „kann“ das Spiel. Und ganz im Gegensatz zu so manchem „einfach losspielen Spiel“ (ja, ich denke an Euch, Andor und Robin), kann man alles jederzeit im Regelheft schön ordentlich strukturiert nachlesen, ohne irgendwelche Karten oder Sonderseiten suchen zu müssen. Allein dafür hat Schatten der Macht schon einen Extrapunkt verdient und es wäre schön, wenn sich andere Verlage von dieser Art des Regelerklärens eine große Scheibe abschneiden würden.


Aber genug vom Metathema der Anleitung, hin zum eigentlichen Spiel: Was dieses bietet ist im Kern ein sauber abgestimmtes Area Control, das gleichzeitig eine Art bedingtes Deckbuilding liefert und mit einem ausgleichenden Wertungsmechanismus versehen wurde. Hä? Richtig! Alles nicht so einfach (in der Theorie zumindest). Ich lasse im Folgenden mal die Besonderheiten des Einführungsspiels außen vor und erzähle Euch direkt vom „richtigen“ Spiel. Alle Mitspielenden wählen eine Spielendenfarbe sowie eine der vier Fraktionen (die mit besonderen, leicht asymmetrischen Startbedingungen einhergehen) aus, nehmen sich die drei zugehörigen Karten („graue Eminenzen“) dieser Fraktion sowie die Meeple („Abenteurer“) und Schiffe der entsprechenden Farbe. Nun werden die 35 Regionskarten gemischt und an die Spielenden verteilt, wobei einige Karten unverteilt bleiben. Die verteilten Karten werden nun Reihum die eigenen Startregionen gedraftet und in jede ausgewählte Region ein eigener Abenteurer gesetzt. Die entsprechende Regionskarte landet auf dem eigenen Ablagestapel, wo schon die grauen Eminenzen warten. Ist alles verteilt, werden nicht besetzte Felder mit neutralen Abenteurern belegt. Nun bekommt noch jede/r 6 Abenteurer und 2 Schiffe der eigenen Farbe in den persönlichen Vorrat, während alle anderen Holzfiguren in einer gemeinsamen Reserve landen. Ein Deck mit Heldenquesten wird zusammengestellt (jeweils 4 Karten der Stufen 1 und 3 sowie 4 bis 6 variable Karten der Stufe 2, sortiert nach den Stufen von 1 abwärts). Es werden Organisationsmarker und Trophäenplättchen auf dem Spielfeld und die Organisationskarten sowie die verbesserten grauen Eminenzen bereitgelegt. Nun bekommen alle noch je 2 Geheimpläne (persönlich Siegpunktebedingungen) und behalten davon eine. Alle mischen ihre Karten (bestehend aus den 3 Eminenzen und den eigenen Startregionen) und ziehen vorerst nichts. Eine Startspielende wird auserkoren und es kann (endlich) losgehen. Ja, der Aufbau des Spiels braucht etwas Zeit. Ob sich das lohnt?


Das Spiel läuft nun in drei Phasen: 1) Nachschub, 2) Aktionen, 3) Entscheidung. Jede dieser Phasen teilt sich nochmal ein wenig auf. In Phase 1 wird eine Heldenqueste aufgedeckt und zu ggf. bereits dort liegenden Heldenquesten gelegt (liegt dort keine, wird eine zweite aufgedeckt). Danach dürfen alle unliebsame Handkarten abwerfen und auf 6 Karten aufziehen. Nun darf jede/r wählen, ob man sich einen weiteren Abenteurer oder ein weiteres Schiff aus der Reserve in den eigenen Vorrat rekrutieren möchte oder man eine graue Eminenz aus der Hand aufwerten möchte. Jede Eminenz kann dabei nur einmal im Spiel aufgewertet werden. In Phase 2 kommen dann die eigentlichen Aktionen. In dieser Phase dürfen reihum alle Mitspielenden je eine Aktion machen und es geht so lange reihum, bis jemand passt. Wurde gepasst, sind alle außer der passenden Person noch genau einmal am Zug. Mögliche Aktionen sind Abenteurer anheuern oder Schiffe bauen, die eigenen Figuren auf dem Spielplan bewegen, Organisationen erwerben oder nutzen, Helden nutzen oder eben passen. Helden nutzt man, indem man einen Meeple aus dem eigenen Vorrat drauf stellt. Steht dort schon einer, muss ich zwei draufstellen, stehen dort zwei, brauch ich drei, usw. Die bisher dort stehenden Meeple gehen in den Vorrat ihres Spielenden. Die Helden bringen starke Boni und es kann durchaus wichtig sein, am Ende einer Runde eigene Meeple auf diesen stehen zu haben. Dazu später mehr. Für alle anderen möglichen Aktionen braucht man immer auch bestimmte Symbole, die man durch das Ausspielen von Karten erhält. Das einsetzen neuer Helden braucht Wanderstöcke, Schiffe brauchen Anker, Bewegung braucht Füße und Organisationen wollen Geldsäcke. Diese Ressourcen stehen natürlich auf unseren Karten und man muss diese geschickt einsetzen, denn für 1 Ressource darf ich die gewählte Aktion 1 Mal machen, für 3 geht das 2 Mal, für 6 schon 3 Mal, für 10 dann 4 Mal und für 15 dann 5 Mal. Gleichzeitig ist es beim Einsetzen von Abenteurern oder Schiffen sowie dem erwerben von Organisationen aber noch entscheidend, welche Regionskarte ich ablege. Denn nur in diesen Regionen/Meeren darf ich überhaupt meine Einheiten bzw. den Marker der Organisation setzen. Das heißt also, um Verstärkungen/Organisationen auf das Spielbrett zu bringen brauche ich die passenden Regionskarten und die passenden Symbole in der passenden Menge. Klingt umständlich, geht aber wirklich schnell im Fleisch und Blut über, zumal man im Deck nur die Karten der eigenen Regionen hat, doch dazu gleich mehr.


Falls ihr Euch fragt, was Organisationen sind: Dies sind im Prinzip Karten, die Boni in Form von Ressourcen oder besonderen Fähigkeiten bringen. Um sie nutzen zu können, muss ich das Gebiet, in dem diese angesiedelt sind, besetzt haben und gleichzeitig eigene Meeple auf den entsprechenden Karten sitzen haben. Dann kann ich die Fähigkeit beliebig nutzen oder aber die jeweiligen Rohstoffe ausgeben (dafür muss ich meinen Meeple aber von der Karte runternehmen). Um Meeple auf die Karten zu bekommen, muss ich – wie auch beim Erwerben der Organisation – eine entsprechende Menge Geldsäcke abgeben können. Wobei man nicht mit einer Masse an Geldsäcken gleichzeitig Organisationen kaufen und mit Meeplen bestücken darf, da es zwei verschiedene Aktionen sind. Allerdings darf man nach dem Kauf einer Organisation trotzdem einen Meeple gratis draufstellen….sofern man noch Meeple hat. Denn ihr merkt vielleicht: Ich brauche Meeple auf der Landkarte, denn es gilt, 35 Regionen zu erobern. Ich brauche Meeple auf Organisationen für die Ressourcen und Fähigkeiten. Und ich brauche Meeple auf den Helden, um deren Sonderboni nutzen zu können. Zu Spielbeginn habe ich ein paar Meeple auf der Landkarte sitzen (je nach Spielendenzahl zwischen 5 und 10) sowie stolze 6 Stück in meinem Vorrat. Dann liegen noch ein paar in der Reserve, die ich mir in Phase 1 jeder Runde rekrutieren kann, aber immer nur einen pro Runde und dann bekomme ich keine Schiffe und keine besseren grauen Eminenzen (die mir mehr Rohstoffe bringen). Also stehen mir in Summe maximal 18 Meeple für all das zur Verfügung. Oder anders: man kann halt nicht alles machen. Und das ist auch gut so, denn sonst würde der Wertungsmechanismus nicht funktionieren, zu dem ich gleich noch komme. Glücklicherweise kommen Meeple, die man zurücknimmt, immer direkt in den eigenen Vorrat und müssen nicht neu rekrutiert werden.


Ist die Aktionsrunde zu Ende, wird abgerechnet. Reihum sucht sich nun jede/r einen Konflikt auf dem Spielfeld aus. Konflikte finden in allen Regionen und Gewässern statt, in denen Meeple/Schiffe von mehr als einer Farbe stehen. Es gewinnt, wer die Mehrheit hat, wobei besondere Einheiten (die man über die Helden bekommen kann), doppelt zählen und man bei Konflikten auf Küstenfeldern auch eigene Schiffe zur Unterstützung rufen kann, sofern diese in dieser Phase noch nicht gekämpft haben – wobei diese dann für alle weiteren Konflikte nicht mehr verfügbar sind (deswegen ist die Reihenfolge der Konflikte durchaus wichtig). Gibt es einen Gewinnenden, so muss diese/r die Hälfe der eigenen Einheiten (aufgerundet und besondere zählen hier nicht doppelt!) vom Spielbrett nehmen, und zwar in einer festgelegten Reihenfolge (besondere Einheit – Schiffe – Abenteurer) und das Verlierende verliert alle eigenen Einheiten (wobei, wie gesagt, diese in den eigenen Vorrat kommen) und muss die Karte der entsprechenden Region an den Gewinnenden abgeben. Grade dieses erobern von Karten (man könnte es auch Mini-Deckbau nennen) macht Schatten der Macht in meinen Augen aber zu etwas ganz Besonderem: Denn jede Region bringt eigene Rohstoffe (die man auch auf dem Spielfeld erkennt) und kann eine bestimmte Anzahl an Organisationen beheimaten (ebenfalls auf dem Spielfeld ersichtlich). Und noch wichtiger: Sind auf dem Gebiet bereits Organisationen beheimatet, wechseln diese natürlich ebenfalls den Besitzenden. Gibt es ein Patt, bleibt alles für die nächste Runde stehen und der Konflikt wird dort ausgetragen. Würde durch einen Konflikt jemand sein letztes Gebiet verlieren, kann dort zwar gekämpft werden, die Karte und Marker bleiben aber bei ihrem bisherigen Besitzenden, es ist also immer möglich, sich wieder zu erholen und dank des cleveren Wertungssystems ist das noch kein Grund, den Kopf hängen zu lassen. Doch dazu gleich mehr. Sind alle Konflikte abgearbeitet, wird noch geschaut, ob auf den Helden Meeple stehen und wenn ja, ob die Besitzer/innen dieser Meeple die jeweils aufgedruckte Heldenqueste in dieser Runde erfüllt haben. Wenn ja, kommt diese Heldin aus dem Spiel und wird als Markierung verdeckt bei der jeweiligen Person abgelegt. Somit steht die jeweilige Heldenfähigkeit für die nächste Runde nicht mehr zur Verfügung.


Gespielt wird solange, bis zum ersten Mal eine Heldenqueste mit Stufe 3 erfüllt wurde, dann endet das Spiel hier sofort. Ansonsten wird einfach wieder mit Phase 1 eine neue Runde begonnen. Endet das Spiel aber, dann wird natürlich gewertet. Und nun wäre es leicht, zu sagen, dass eben die Anzahl von Regionen etc. das Spiel entscheidet, aber ganz so simpel ist es hier nicht. Denn es werden Rankings erstellt nach der Anzahl der Regionen, Anzahl der Organisationen, Anzahl erbeuteter Trophäen (die ebenfalls durch die Helden sowie durch besiegte besondere Figuren ins Spiel kommen und Marker sind, die an bestimmte Regionen gebunden sind) sowie Anzahl erfüllter Heldenquesten. In jedem dieser 4 Rankings bekommt die erstplatzierte Person Punkte in Höhe der Anzahl der Mitspielenden, die zweitplatzierte Person einen weniger, usw. Abschließend werden die Geheimpläne offen aufgedeckt und alle bekommen je einen Punkt pro erfüllter Bedingung des eigenen Geheimplans (maximal 5 Punkte). Wer nun die meisten Punkte hat, gewinnt.


Das war nun recht viel Text und ja, es klingt vielleicht nach etwas viel „Kleinklein“, aber es spielt sich wirklich trotz aller strategischer und taktischer Entscheidungen, die man hier laufend treffen muss, wirklich angenehm leicht. Das kommt zum einen daher, dass die Handkarten die eigenen Aktionsmöglichkeiten in jeder Runde limitieren. Zum anderen aber auch daher, dass alles in sich Sinn macht und man eigentlich auch aus der „schlechtesten“ Hand, immer etwas Sinnvolles machen kann. Natürlich muss man diese Form des Glücksfaktors in einem Strategiespiel mögen und mir ist bewusst, dass das viele abschrecken kann. Mich persönlich hat Schatten der Macht aber total gepackt, ich finde es richtig gut und mich wundert es wirklich, dass das Spiel so sehr unter dem Radar fliegt. Insbesondere, weil ich Area Control Spiele selten mag, da sie mich sehr oft langweilen. Ankh war hier bisher eine Ausnahme, da dort jede Entscheidung tiefgreifende Folgen hatte. Schatten der Macht ist da gewissermaßen das krasse Gegenteilt. Natürlich muss ich hier auch überlegen, aber eben nicht 5 Züge im Voraus, sondern nur bezogen auf diese eine Runde mit dieser einen Kartenhand. Und da ich in der Regel pro Aktion mehr als eine Karte nutze, sind 6 Karten eben auch schnell verbraucht. Und wenn ich als erstes passe, werde ich ja auch noch Starspieler. Hm. Außerdem lässt sich aufgrund der Ranking-Wertung und den Geheimplänen während des Spiels schwer einschätzen, wer aktuell vorne liegt. Wo Ankh also etwas für Turbooptimierende sein kann, ist Schatten der Macht irgendwie ideal für Bauchspielende (doch Vorsicht: mit Turbooptimierenden am Tisch kann es sich trotzdem ganz schön ziehen). Insofern ideal für mich.

Natürlich ist auch bei hier nicht alles perfekt. So würde ich mir zum Beispiel einen Wertungsblock wünschen, der die Abrechnung erleichtert, oder dass die einzelnen Fraktionen noch deutlich asymmetrischere Fähigkeiten mit sich bringen. Aber das ist alles meckern auf hohem Niveau. In Summe finde ich es wirklich ein richtig tolles Spiel, das deutlich mehr Aufmerksamkeit verdient hätte. Ich weiß aber gleichwohl, dass es aufgrund der Mischung von grundsolider Strategie mit Karten-Glücksspiel nicht jedem liegen wird. Für mich ist es aber trotzdem (oder besser: gerade deswegen!) ein echtes Hidden Gem…auch wenn ich eigentlich so gar nicht im Thema bin, was aber zum Glück, wie schon gesagt, nicht schlimm ist.

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Schatten der Macht von Anton Katzer und Andreas Meinlschmidt
Erschienen bei Ulisses Spiele
Für 2 bis 4 Spielende in ca. 60 bis 180 Minuten ab 14 Jahren


sämtliche Bilder sind von uns selbst erstellt oder vom jeweiligen Pressematerial des Verlages (hier Ulisses Spiele)
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