14.02.2024

Mythwind


Ich beginne mit einem Spoiler: Die Mythwind-Kampagne habe ich nicht bewusst mitbekommen und Harvest Moon oder Stardew Valley haben mich nie interessiert. Und trotzdem oder grade deswegen ist Mythwind in meinen Augen die größte positive spielerische Überraschung seit Jahren. Ich finde, es ist ein absolut geniales Spiel und ich kann kaum noch zählen, wie viele Stunden ich in das Spiel versenkt habe. Ich finde es fantastisch, großartig und absolut süchtig machend. Auch wenn ich natürlich bereits erahne, dass das Prinzip des „endlosen“ Spiels, irgendwann doch ein Ende finden wird. Aber bis dahin gilt es noch viel zu entdecken. Und wie ihr schon merkt, habe ich das Spiel zum Zeitpunkt des Schreibens dieser Rezension nicht „durchgespielt“. Ok, geht bei einem endlosen Spiel auch nicht. Soll aber heißen: Ich habe nicht sämtliche Ereignis- und Abenteuerkarten gelesen und abgehandelt, die in der Box sind und ich habe nicht jeden Charakter maximal „gelevelt“. Aber ich denke, nach bestimmt 15-20 Stunden Spielzeit, darf ich mir eine Meinung bilden. Und ganz ehrlich….ich weiß nicht, wann ich zuletzt in ein Brettspiel so viel Spielzeit investiert habe und mich trotzdem schon auf die nächste Partie freue. So. Überschwängliche Hype-Euphorie mal beiseite (ok, das wird zugegebener Maßen echt schwer für mich) und mal auf die Gründe geschaut, warum ich Mythwind so genial finde.


Genial ist dabei genau das richtige Stichwort, denn alles in und an dem Spiel ist schlicht unfassbar gut durchdacht. Beginnen wir mal mit dem Material: Es gibt ein zentrales Board, auf dem wir Marker auf Leisten bewegen, Plättchen für die Aktionen liegen haben und Gebäude bauen (quadratische Kärtchen, die wir drauflegen). Dieses Board besteht aus einer Kunststoffplatte, die mit dem eigentlichen Papp-Spielbrett beklebt ist. Quasi dual-layer, aber richtig gut: Denn in der Kunststoffplatte sind in den Vertiefungen nochmal zusätzliche Vertiefungen, durch die man die Karten/Plättchen nur an einer Stelle runterdrücken muss, um sie spielen leicht rauszubekommen. Weiterhin besteht das Brett aus drei Einzelteilen, die einfach nebeneinander gelegt werden. Ist eine Partie beendet, stapelt man alle drei Teile, so wie sie sind (also ohne irgendwas abzubauen – denn wir spielen ein Spiel in einer persistenten Welt – es geht also immer weiter) übereinander und legt sie auf ein Inlay, das man am Tisch liegen hat. In diesem Inlay liegen die Karten, die aktuell „freigeschaltet sind“ (dies sind Ereignisse, Ziele und Abenteuer), der gesamte Münzvorrat und beim „Abbauen“ werden hierin auch die im Spiel befindlichen Würfel verstaut. Sprich: Würfel rein, Board drauf, Deckel(!) drauf und ab mit dem Tray in die Kiste. In dieser Kiste ist im Boden ein Inlay verklebt, in das wir die Minis und alle nicht „aktiven“ Karten (inkl. der nicht gebauten Gebäude) verstauen. Wobei verstauen das falsche Wort ist, denn die Karten, die wir nicht brauchen (ebenfalls Ereignisse, Ziele und Abenteuer), lassen wir einfach über die gesamte Spielzeit über in diesem Inlay und holen nur raus, wozu wir aufgefordert werden. Auch die Umschläge, die wir im Laufe des Spiels freispielen sind hier drin. Nachdem also das Spieletray auf dem Bodeninlay liegt, packen alle mitspielenden ihre Playerboards ein.


Auch diese Playerboards sind eigentlich Plastikinlays, auf die wir Papp-Spielelemente aufbringen. Dabei hat jede Figur ihr eigenes Charakterplättchen im oberen Teil, einer Aktionsleiste im linken Bereich und dem eigentlichen „Playerboard“ auf der rechten Seite. Der Clou: sämtliches Material für jeden Charakter passt am Ende einer Partie in diese Trays (ok, außer den Minis und den Beuteln, die manche Figuren haben). Und zwar so, dass man in der nächsten Partie noch alles so vorfindet, wie man es verlassen hat oder es klar ist, welche Teile „aktiv“ sind und welche der Vorrat des jeweiligen Charakters. Hat man alles verstaut, kommt auch hier jeweils ein Deckel drauf und alle Playerboards des Grundspiels kommen auf das Spielbrett-Tray. Anleitung drauf, Deckel auf die Schachtel, fertig. Abbau in maximal 5 Minuten und alles(!) ist sortiert. Bei der nächsten Partie dann Playerboards verteilen, alle packen ihre Tokens und/oder Karten aus ihren Trays aus, wer am schnellsten ist, bereitet das Spielbrett vor. Da die Schachtel seitlich eingeschnitten ist, bekommt man auch alles aus der press sitzenden Schachtel raus. Aufbauzeit maximal 5 Minuten. Das klingt vielleicht unspektakulär, aber in meinen Augen ist es revolutionär. Denn das Spiel geizt wirklich nicht mit Material. Und wie oft habe ich schon in Spielanleitungen gelesen, was man nicht alles tun sollte, um den eigenen Fortschritt zu speichern….grade in Kampagnen- oder Legacyspielen. Das Mythwind-System könnte glaube ich in vielen Spielen dazu beitragen, dass diese öfter auf den Tisch kommen, weil es wirklich in Rekordzeit auf- und auch wieder abgebaut werden kann. Tolle Sache. Die Erweiterung „Spuren der Vergangenheit“ bringt eine fünft Figur ins Spiel, die natürlich ebenfalls einen entsprechenden Tray mitbringt. Außerdem ist dort auch ein Inlay für die Karten der Erweiterungen (also aller bisher erschienenen) bzw. wenn diese mal im Spiel sind für die aussortierten Karten des Spiels (die auch in die Hauptbox passen, aber so sind sie aus dem Blick), enthalten. So. Das Verstau-System ist also genial, das Material selbst aber ebenso. Hier gibt es absolut gar nichts zu meckern. Sowohl von der Materialqualität her als auch optisch ist Mythwind ein Highlight. Die Erweiterungen bringen übrigens neben der fünften Figur (und somit auch der 5 Spieler-Erweiterung) ansonsten mehr Karten von allen drei Arten und neue Gebäude, die etwas Besonderes „können“. Doch dazu später mehr. Jetzt erstmal sorry: aus dem Vorsatz mit der Euphorie ist nichts geworden, also steigt gerne ein in meinen Hype-Train. Denn jetzt geht die Fahrt erst richtig los. Schauen wir uns mal an, worum es hier eigentlich geht.


Laut Homepage des Verlags ist Mythwind ein besonderes Spiel. Denn es hat kein Ende. Der Weg ist das Ziel. Ob es wirklich kein Spielende gibt, mag ich etwas bezweifeln, denn irgendwann hat man keine neuen Ziele (es sind 28 in der Box, also ist ohne Erweiterung nach 28 Jahreszeiten kein neues Ziel mehr in Sicht), keine neuen Abenteuer und keine neuen Ereignisse mehr, schlicht, weil einem das Nachschub-Material irgendwann ausgeht. Mini-Spoiler: So gibt es z.B. bei den Abenteuern eine Karte, die nach dem Abhandeln nicht aussortiert, sondern wieder in den Stapel reingemischt wird. Durch solche Tricks wird ein Spiel natürlich „endlos“, aber im Kern hat man irgendwann natürlich nichts neues mehr, das man erleben kann, und Mythwind ist ab diesem Zeitpunkt repetitiv. Aber bis dahin hat man auch alle Charaktere maximal optimiert und ganz ehrlich: wer will schon ein und dasselbe Spiel bis in alle Ewigkeit spielen? Ich denke, niemand. Und bis man alles gesehen hat, hat man allein mit der Grundbox viele viele Stunden zugebracht und die Erweiterungen – bislang 3 an der Zahl und ich hoffe sehr auf mehr mehr mehr – zögern dieses „Ende“ doch ordentlich heraus. Was tun wir also in diesem „endlosen“ Spiel? Wir besiedeln ein Tal und zwar eins, in dem mystische Waldgeister leben. Diese Wesen sind uns grundsätzlich wohl gesonnen, finden aber nicht immer alles gut, was wir da so treiben. Im Laufe des Spiels lernen wir die Bewohner des Waldes immer besser kennen, bauen unsere Gebäude ins Tal (und reißen sie ab, um andere zu bauen oder werten bestehende auf) und begrüßen immer mehr neue Dorfleute und Waldgeister in unserem Dorf.


Eine Partie in Mythwind ist eine Jahreszeit. Nach jeder Jahreszeit kann man das Spiel „speichern“ und wegpacken. Sofern alle am Tisch wissen, was sie mit der eigenen Figur tun (denn jede Figur macht hier etwas völlig anderes als alle anderen), dauert so eine Jahreszeit ca. 30 Minuten – unabhängig von der Anzahl an Mitspielenden. Und in diesen 30 Minuten passiert mitunter eine ganze Menge am Tisch. Und auch das finde ich großartig. Denn dadurch – gepaart mit dem schnellen Auf-/Abbau - kann man Mythwind sogar als Absacker oder Einstiegsspiel spielen. Wobei ich es nicht als Einstiegsspiel empfehlen würde. Denn es entfaltet einen Sog und ruckzuck ist aus einer Jahreszeit noch „mal schnell“ eine zweite, dritte, vierte geworden und der Spieleabend ist zu Ende, ohne dass man irgendetwas anderes gespielt hat. Und eigentlich will man es irgendwann auch gar nicht mehr abbauen, damit man „mal eben schnell nebenbei“ eine Jahreszeit spielen kann. Aber zurück zum Thema: Eine Jahreszeit besteht zu Beginn des Spiels aus genau 9 Tagen (= Runden). Jeder Tag hat einen Morgen, einen Mittag und einen Abend (= also drei Phasen). Morgens zieht man eine Wetterkarte und legt diese so auf ggf. schon ausliegende Wetterkarten, so dass das Wetter der letzten Tage sichtbar bleibt. Sobald wir am 3. Tag angekommen sind, müssen wir immer prüfen, ob wir durch die Kombination der letzten drei Wetter einen Jahreszeiteffekt auslösen. Hierdurch bekommen oder verlieren wir gemeinsame Rohstoffe (die durch Leisten auf dem Hauptbrett kenntlich gemacht werden) oder anderes passiert im Spiel. Tatsächlich werden Jahreszeiteneffekte aber eher selten getriggert. Die Erweiterung „Wetterwechsel“ bringt alternative Plättchen mit sich, bei denen die Effekte häufiger eintreten, da man nur noch auf das heutige und das gestrige Wetter schauen muss (man muss also nur zwei bestimmte Wetter in der richtigen Reihenfolge ausliegen haben). Ich persönlich mag diese Unwägbarkeiten und spiele am liebsten mit den alternativen Plättchen. Man kann sich aber bei jedem Jahreszeitenwechsel für eins der beiden Plättchen entscheiden und ist nie festgelegt. Ist der Jahreszeiteneffekt geprüft und ggf. abgehandelt, schaut man noch, ob die Wetterkarte einen eigenen Wettereffekt bringt. Dies kann entweder das Voranbringen eines Bauprojektes sein oder es wird ein Ereignis ausgelöst. Ereignisse sind Karten, die im Kern die Story des Spiels erzählen. Und je nachdem, wie man das Tal bislang entwickelt hat, bringen Ereignisse weitere Ereignisse ins Spiel – man bekommt bspw. gesagt „wenn ihr Gebäude xy im Spiel habt, mischt Ereigniskarte Nr. ab ins Ereignisdeck. Habt ihr es nicht, mischt Ereigniskarte cd ins Deck“. Ist dies passiert, schauen die Mitspielenden, ob ihre Charaktere noch eigene Morgen-Aktionen haben. Manche haben dies, manche nicht.


Ist der Morgen abgelaufen, kommt der Mittag. Und hier wird natürlich geschafft. Zuerst arbeiten alle gemeinsam im Dorf. Jede/r schnappt sich seine Miniatur und stellt diese auf eine der möglichen Aktionen. Zu Beginn sind dies Dorf-Rohstoffe kaufen oder Land-erschließen (= neue Bauplätze schaffen), ein Abenteuer bestehen (= Abenteuerkarte mit kurzer Story und fast immer einer Entscheidung mit anschließender Belohnung oder – selten – Bestrafung abhandeln), ein Bauprojekt starten, Hilfskräfte für Geld anheuern oder eine eigene Spezialfähigkeit erwerben bzw. ein Geld nehmen. Es gibt also zu Beginn nur fünf Einsatzplätze. Im Laufe des Spiels kommen neue Einsatzfelder in Form der Gebäude, die man baut, hinzu. Nicht alle Gebäude sind dabei eigene Aktionen. Manche Gebäude bringen auch einfach nur Boni am Ende der Jahreszeit, andere (die es nur in den Erweiterungen gibt) verstärken andere Aktionen bzw. bringen Boni wenn man diese nutzt. Es kann also immer nur eine Dorfaktion pro Person durchgeführt werden. Was ein wenig nach No-Brainer klingt, ist aber keiner. Denn die gewählte Aktion bestimmt die sogenannte Verbundenheit. Jedes Feld/Gebäude ist entweder mit den Waldgeistern oder mit den Dorfbewohnern verbunden oder auch mit beidem. Das Abenteuer z.B. ist grundsätzlich erstmal mit beidem Verbunden, hier bestimmt aber der Ausgang des Abenteuers (den man natürlich nicht vorher kennt), mit wem man in dieser Runde verbunden ist. Und diese Verbundenheit wiederrum steuert, welche Charakteraktionen man anschließend nutzen kann (dazu gleich mehr). Man wählt hier also nicht zwingend (nur) das aus, was man machen möchte, sondern welche Optionen einem im Anschluss überhaupt zur Verfügung stehen. Und das ist vor allem zu Beginn des Spiels in der ersten und vielleicht zweiten Jahreszeit ganz entscheidend (später zwar auch noch, kann dann aber durch die Hilfskräfte etwas besser abgefangen werden, aber auch dazu gleich mehr).


Haben also alle eine Dorfaktion gemacht, kommen die Charakteraktionen dran: Jeder Charakter hat 5 mögliche Aktionen, die er/sie durchführen kann. Zwei sind mit den Waldgeistern, zwei mit den Dörflern und eine ist mit beiden verbunden. Je nachdem, welche Dorfaktion ich also unternommen habe (bzw. mit welchem Ausgang), ist meine Wahl also auf drei unterschiedliche Aktionen beschränkt. Nach dem Durchführen der Aktion kann ich dann eine Fähigkeit nutzen, sofern ich diese schon freigeschaltet und eben genau dieser Charakteraktion zugewiesen habe. Die Fähigkeiten werden durch Plättchen symbolisiert die ich immer dann neu sortieren darf, wenn ich eine neue Fähigkeit freischalte. Je nach Charakter macht man nach dieser „Charakteraktionen“ noch weitere Aktionen und anschließend darf man eingekaufte Helfer aktivieren. Bei diesen Helfern handelt es sich um Waldgeister (blaue Würfel) oder Dörfler (gelbe Würfel). Diese Würfel zeigen eine Zahl von 0 bis 3. Habe ich einen solchen Würfel mit einer Zahl, darf ich diese um jeweils 1 reduzieren und sie dann auf ein mit dem jeweiligen Würfel verbundenes Aktionsfeld meines Tableaus legen, um diese spezielle Charakteraktion (nochmal) zu nutzen. Die ggf. verbundene Fähigkeit darf ich dann aber nicht nutzen. Zugegeben, das spielt sich anfangs etwas kontraintuitiv, das legt sich aber schnell. Der Clou an diesem Teil des Spiels ist: Hier spielen alle am Tisch gleichzeitig und etwas völlig anderes. Der Farmer versucht seine Farm voranzutreiben, möglichst schnell Obst, Gemüse und Tiere zu züchten und schnell wieder zu verkaufen (klassisches Tile-Placement), die Handwerkerin verarbeitet Materialen und erfüllt damit Aufträge oder verkauft sie möglichst teuer weiter (eine Art Set Collection), die Händlerin versucht Waren günstig einzukaufen bzw. zu verkaufen und muss auf die Konkurrenz aufpassen (Marktwirtschaft), die Wirtin richtet ihr Lokal ein und muss die Wünsche von Kunden erfüllen (im Kern auch eine Art von Set Collection) und der Waldhüter bereitet sich auf seine tagelangen Streifzüge vor – durch die er dann auch ein paar Tage lang nicht an der Dorfphase teilnimmt. Diese Phase, in der alle am Tisch ihr eigenes „Minigame“ spielen, ist tatsächlich etwas besonderes und bestimmt im Wesentlichen die Spieldauer einer Jahreszeit. Wenn alle wissen, was sie tun, geht das eigentlich sehr schnell. Wenn man eine Rolle aber zum ersten Mal spielt und zwar weiß, was man tun kann, aber nicht warum, dann tut man sich anfangs etwas schwerer. Aber wie gesagt, meist läuft schon ab der zweiten Jahreszeit alles flüssiger, da man schnell mitbekommt, welche Verbundenheit/Hilfskräfte man hauptsächlich haben sollte und schon in der laufenden Runde Pläne schmiedet, was man in der nächsten Runde machen möchte. Damit niemand den Überblick verliert, hat natürlich jeder Charakter seine eigene Anleitung im Midi-Format, in der auch immer der Spielablauf des gesamten Spiels – inkl. der eigenen Sonderaktionen – verzeichnet ist. Tolle Sache!


Haben alle den Mittag hinter sich gebracht, folgt der Abend. Hier holen wir unsere Minis vom Spielfeld, geben „leergemachte“ Würfel (also die, die nun keine Zahl mehr anzeigen) zurück, indem wir sie neu Würfeln und wieder zum anheuern bereitlegen, und manche Charaktere machen hier noch ein paar Sonderaktionen. Ist nun der Wetterstapel noch mit Karten bestückt, startet der nächste Tag mit dem Morgen. Ist keine Wetterkarte mehr da, endet die Jahreszeit. Hier schauen wir zuerst, ob wir Effekte auf dem Spielfeld haben, die uns ein paar Boni bringen und prüfen dann, ob wir das Ziel dieser Jahreszeit erreicht haben. Halt. Moment. Hatten wir nicht gesagt, der Weg ist das Ziel? Richtig. So ist es auch. Trotzdem hat man in jeder Jahreszeit ein Ziel, dass man erreichen sollte. Dieses dient aber tatsächlich allenfalls als Richtschnur, als Orientierungspunkt und ist nicht im Sinne von „wenn du es nicht schaffst, starte das Szenario von vorne“ zu verstehen. Hat man das Ziel erreicht, winkt eine kleine Belohnung, hat man es verfehlt, gibt es eine kleine „Strafe“ – die aber in der Regel zu verschmerzen ist. Meistens erreicht man das Ziel aber relativ leicht und im Kern helfen die Ziele dabei, das Dorf in die richtige Richtung zu entwickeln. Mit jeder abgehandelten Zielkarte kommen wieder neue Zielkarten ins Spiel. Die im Spiel befindlichen werden gemischt und zwei gezogen. Anschließend einigt man sich als Gruppe auf das neue Ziel für die nächste Jahreszeit. Nun legen wir das nächste Jahreszeitenplättchen bereit, mischen die Wetterkarten wieder zu einem Stapel zusammen und manche Figuren führen noch eine Sonderaktion aus. Fertig ist die Spielrunde und man kann entscheiden, ob man die nächste Jahreszeit spielt oder alles schnell wegpackt und wann anders weiterspielt.


Und so reiht sich Tag an Tag, Jahreszeit an Jahreszeit, Jahr an Jahr und das Dorf und auch unsere Charaktere entwickeln sich weiter. Man erlangt immer neue Fähigkeiten, baut neue Gebäude oder verbessert vorhandene Gebäude (hierzu gibt es sogar einen „Tech-Tree“ in der Anleitung, in der man sieht, welches Gebäude von welchem abhängt) und lässt sich von den kleinen Geschichtsfetzen, die durch die Ereignisse und auch die Abenteuer erzählt werden ein wenig einlullen, versucht das nächste Ziel zu erreichen und mit dem eigenen Charakter in jeder Jahreszeit ein wenig mehr Geld zu scheffeln, als in der Jahreszeit zuvor, damit man sich noch bessere Fähigkeiten und noch mehr Dorfressourcen für die Gemeinschaft leisten kann. Aber jede Fähigkeit und jede Ressource muss erarbeitet werden und das ist nicht anstrengend, sondern macht unfassbar viel Spaß. Denn man hat hier überhaupt keinen Stress. Auch wenn man mal zwei Jahreszeiten lang gar nichts erreicht, dann ist das so. Die Geschichte läuft immer weiter, man bekommt immer irgendwas, man wird ständig belohnt, wenn auch nur im Kleinen. Aber jede Fähigkeit die man freischaltet, jedes Ausrüstungsstück, dass man sinnvoll (als Farmer) nutzen kann, jeder schwierige Gast, den man nun (als Wirtin) endlich bedienen kann, jeder Auftrag, den man (als Handwerkerin) erfüllen kann, jeder Geldberg, den man nun endlich mit einem einzigen Verkauf (als Händlerin) erzielen kann und jeder neue Streifzuglevel, dem man sich nun (als Waldhüter) endlich stellen kann, fühlt sich einfach richtig gut und belohnend an. Man „arbeitet“ hier für seine Erfolge, aber es fühlt sich nicht wie Arbeit an, sondern wie das Erreichen einer teils fernen Etappe, nur um dann direkt das nächste Ziel vor Augen zu haben. Mir ist irgendwann schlagartig bewusst geworden, dass viele Handy-Microtransaktions-Spiele mit genau diesem Mechanismus arbeiten. Immer mal eine kleine Belohnung vor die Nase halten und wenn man sie erreicht, findet man es toll, aber da wird schon die nächste Möhre vor der Nase geschwenkt. Mythwind bringt dieses Gefühl auf den Tisch, ohne Mikrotransaktionen, ohne zusätzliches Geld hineinversenken zu müssen (ok, für die Erweiterungen, ja, aber die muss man ja nicht zwingend haben….will man aber).


So. Und nun habe ich eine ziemlich lange Rezension geschrieben und trotzdem das Gefühl, dass ich noch nicht genug zu diesem Spiel gesagt habe. Ich erspare Euch die Details, auch weil ich nicht spoilern möchte, was z.B. in den Umschlägen lauert, möchte aber abschließend noch ein paar Worte zu den Erweiterungen sagen. Die Spuren der Vergangenheit bringen die Wirtin als fünfte Figur und allein deswegen lohnt sich die Anschaffung, weil nochmal neue Mechaniken dazu kommen, die wirklich ebenfalls Spaß bringen. Und da fällt mir ein, ich habe etwas Wichtiges noch gar nicht erwähnt: Man kann zwischen den Jahreszeiten seine Figur und die Anzahl der Mitspielenden wechseln. Ich kann also zu zweit mit Handwerkerin und Farmer beginnen, in der nächsten Jahreszeit spielt vielleicht noch eine Wirtin mit, dann mach ich eine Solo-Runde als Waldhüter und beim nächsten Treffen spielen wir einfach zu fünft weiter. Das Dorf entwickelt sich in jeder Jahreszeit weiter und die Charaktere ebenfalls. Daran muss man sich gewöhnen – wenn man diese denn wechseln möchte. Man kann genauso gut immer mit der gleichen Rolle weiterspielen, verpasst dann aber natürlich die anderen Mechaniken. Jetzt bin ich leider abgeschweift. Neben der Wirtin bringt die Erweiterung noch neue Ereignisse und Abenteuer, die ab dem Öffnen des 1. Umschlags im Hauptspiel Schrittweise ins Spiel gelangen sowie neue Ziele und Gebäude, die man sofort nutzen kann. Während die Karten das Spiel schlicht verlängern und etwas Neues erzählen, bringen die Gebäude die oben bereits genannte besondere Mechanik ins Spiel. Für mich eine Must-Have-Erweiterung. Die Erweiterung Wetterwechsel bringt ebenfalls neue Ereignisse und Abenteuer (ab dem 2. Umschlag) und Ziele (etwas umständlich: in Abhängigkeit der Ziele des Hauptspiels) sowie Gebäude mit sich. Hat aber auch die oben erwähnten alternativen Jahreszeitenplättchen an Bord. Nicht zwingend erforderlich, aber ich find’s schon cool. Zu guter Letzt gibt es noch die Mini-Erweiterung Neue Abenteuer und Ereignisse, deren Titel Programm ist (und die auch ab dem 1. Umschlag ins Spiel kommen) und die in Form eines TCG-Booster-Packs daherkommt.


Abschließend sei noch erwähnt, dass natürlich auch bei Mythwind, trotz aller Schwärmerei, nicht alles perfekt ist. Da gibt es bei der Handwerkerin eine falsch beschriebene Regel in der Anleitung, die im offiziellen FAQ (zu finden auf BGG) klargestellt wird, da fehlt auf einem Aktionsplättchen, das später ins Spiel kommt, ein Verbundenheitssymbol, da ist das System aus Aktion-Fähigkeit / Hilfsaktion-keine Fähigkeit anfangs etwas kontraintuitiv und da schrecken vor allem die individuellen Anleitungen je Figur alle Gelegenheitsspielenden auf den ersten Blick erstmal ab. Denn diese sind jeweils um die 40 Seiten stark. Im Kern steht aber gar nicht so viel drin. Und das ist tatsächlich der größte Kritikpunkt, den ich an dem Spiel finden kann: Die Anleitungen sind viel zu ausschweifend, zu detailliert. Für meinen Geschmack hätte man alles etwas kompakter beschreiben können, damit man vor allem zu Beginn schneller nachblättern kann. Aber das ist zum einen wirklich Meckern auf allerhöchstem Niveau, zum anderen lassen sich die Aktionen auch immer relativ schnell erklären, sodass man nicht zwingend mit den Regelheften um sich werfen muss. Denn im Kern befinden wir uns hier irgendwo in der Mitte zwischen Familien- und Kennerspiel. Es gibt schon einige Regeln, man kann aber eigentlich nichts falsch machen. Alles plättschert vor sich hin und zieht einen dennoch in seinen Bann, in die schier endlose Spirale aus kleinen Belohnungen und kleinen Story-Fetzen.


Und ja, man muss es mögen, wenn ein Spiel ohne „echtes“ Ziel, ohne Konkurrenz, ohne Wettbewerb und auch ohne „Herausforderung“ im eigentlichen Sinne gespielt werden will (wobei für alle, die etwas mehr gefordert werden möchten, in der Anleitung sogar „Achievements“ abgedruckt sind, die man erfüllen kann….oder auch nicht). Ich selbst hätte nicht gedacht, dass mich dieses ziellose Spielen anspricht. Ich fand es ein interessantes Experiment, auf das ich mich mal einlassen wollte. Jetzt glaube ich, dass hier etwas ganz großes Vollbracht wurde und könnte mir vorstellen, dass es viele Mythwind-Nachahmer finden wird. Auch wenn es aktuell gefühlt in der Masse an Neuheiten etwas unterzugehen droht. Für mich – sorry für die Wiederholung – mein erstes großes Highlight des Jahres (wenn nicht sogar der letzten Jahre), an dem sich alles, was da dieses Jahr an Spielen kommen wird, messen lassen muss. Nicht unbedingt von den Mechaniken her gesehen, denn da ist eigentlich nichts wirklich neu, aber vom Spielgefühl her, dass so anders ist, als bei allen anderen Euro-Titeln. So. ich glaube, jetzt reicht’s… ;)


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Mythwind von Nathan Lige und Brendan McCaskell
Erschienen bei Board Game Circus
Für 1 bis 4 (mit Erweiterung 5) Spielende in ca. 30 - 60 Minuten ab 12 Jahren


sämtliche Bilder sind von uns selbst erstellt oder vom jeweiligen Pressematerial des Verlages (hier Strohmann Games)
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