18.08.2019

Detective: City of Angels


Detektivspiele sind aktuell im Trend. Detective: A Modern Crime Story von Portal Games wurde kürzlich für das Kennerspiel des Jahres 2019 vorgeschlagen (gewonnen hat Flügelschlag), Chronicles of Crime von Lucky Duck faszinierte kürzlich die Massen, aber bereits 1985 schaffte es ein gewisses Sherlock Holmes: Criminal Cabinet nach ganz oben und wurde sogar zum Spiel des Jahres ausgezeichnet. Aber egal ob 3D-Brille (Chronicles of Crime), kompetitiver Ansatz (Watson & Holmes) oder realistische Polizeiarbeit (A Modern Crime Story), Detektivspiele bedienen in unserem Hobby - so habe ich zumindest den Eindruck - eine Nische. Damit meine ich, dass man schon ganz gewisse Voraussetzungen erfüllen muss, um an diesen Spielen Spaß zu haben: Ich muss gerne Knobeln und ich muss gewillt sein eine Fülle von Informationen zu behalten. Das führt fast immer zu einem eher unentspannten Spielgefühl. Oft fühle ich mich bspw. nach einer Partie Detective von Portal kopfmäßig ausgelaugt. Spaß macht es trotzdem. Ich bin aber danach platt. Der Freizeiteffekt einer Brettspielrunde geht nunmal flöten.


Detective: City of Angels (der Einfachheit halber und um Verwechslungen mit dem wohl hierzulande bekannteren Namensvetter von Portal zu vermeiden, fortan nur noch City of Angels genannt) ist der neuste Vertreter der Zunft und wurde kürzlich über Kickstarter finanziert. Der Verlag ist ein eher kleiner namens VanRyderGames, der aber durchaus mit Hostage Negotiator (bei Frosted Games als „Der Unterhändler“ bekannt) einen beachtlichen Erfolg aufzuweisen hat. Ich erinnere mich noch genau an damals, als die Kickstarterkampagne startete und ich direkt einsteigen musste. Thema (Los Angeles der 40er Jahre), die Optik (Vincent Dutrait gehört nunmal zu meinen Lieblingsgrafikern), und das versprochene innovative Spielgefühl haben mich sofort gefangen.

Um was geht es in City of AngelsCity of Angels ist ein Detektivspiel, bei dem ein bis vier Ermittler einen Fall (Mord, Diebstahl etc.) aufklären müssen, während ein Spieler den sogenannten Chisel übernimmt. Das Spiel ist dabei nicht kooperativ, wie viele Detektivspiele, sondern jeder Ermittler versucht als erster den Fall zu lösen. Der Chisel hingegen übernimmt die Rolle des GameMasters, der volle Kenntnis über den Fall hat und einerseits bestmöglich versuchen sollte die Ermittlungen zu behindern (wird der Fall nicht nach einer bestimmten Anzahl an Tagen aufgelöst, gewinnt der Chisel), andererseits aber auch durch seine Aktionen dafür sorgen, dass alle Spieler bestmöglich ins Spielgeschehen integriert sind. Eine interessante und sehr reizvolle Aufgabe.


Geliefert wird City of Angels mit einer Fallzahl von 9 Fällen, die von leicht über mittel bis schwer alles bieten und sich inhaltlich extrem voneinander unterscheiden. Jeder Fall kommt dabei in einer separaten Box, die das jeweilige Spielmaterial für den Fall mit sich bringt. Alle Fälle eint jedoch die Karte von Los Angeles, welche aus unterschiedlichsten Orten besteht, die alle in jedem Fall bereist werden können - ob der jeweilige Ort im jeweiligen Fall jedoch eine Bedeutung hat, steht auf einem anderen Blatt. 

Doch wie ist das Spielgefühl von City of Angels  Wenn Ihr einmal das Playstationspiel LA Noir gespielt habt, dann wisst Ihr, wie das Spielgefühl ist. Genau so! City of Angels basiert hauptsächlich auf einem innovativen - nie dagelegenen - Verhörmechanismus. Im Laufe eines Falles habe ich nämlich die Möglichkeit Verdächtige zu verhören und nach jedem Gegenstand bzw. zu jeder Info zu befragen. Im Anschluss daran wählt der Chisel-Spieler aus einer von bis zu 4 möglichen Antworten seines Masterhandbuches aus, wobei nur eine Antwort die bestmögliche Antwort ist. Zu jeder Kombination (Verdächtiger, Gegenstand, Info) gibt es eine vorgefertigte Anzahl an Antworten, mit denen der Chisel den jeweiligen Detektiv bewusst auf eine falsche Fährte setzen kann, oder ihm bewusst eine wichtige Info vor allen anderen Spielern zuschustern kann - gerade letzteres Element ist für den GameMaster-Effekt von enormer Bedeutung. Im Idealfall helfe ich den ahnungslosen Spielern von Zeit zu Zeit auf die Sprünge, während ich die kurz vor der Lösung stehenden Detektive versuche zu verwirren.


Ganz fertig bin ich jedoch noch nicht mit der Beschreibung dieses innovativen und genialen Mechanismus, denn nachdem der Detektiv auf einem geheimen Kärtchen die vom Chisel ausgewählte Antwort bekommen hat, muss er einschätzen, ob es die Wahrheit war, oder nur eine kleine Notlüge (dabei helfen natürlich zuvor bekommene Infos). Zweifle ich die Wahrheit an und habe als Detektiv recht, bekomme ich nicht nur die korrekte Antwort gezeigt, sondern bekomme auch fortan die Überhand im Verhör, d. h. ich kann eine weitere Frage stellen und bekomme dort ebenfalls sofort die korrekt Antwort. Thematisch 1A und spielmechanisch ebenfalls super. Zweifle ich im übrigen fälschlicherweise an, bekommt der Chisel die Überhand und kann später in der Partie Fragen unbeantwortet lassen (außer ich überzeuge ihn mit Gewalt - ja wir befinden uns im LA der 40er) oder er kann Spione der anderen Detektive ausschalten, die bei jedem Verhör gegen einen kleinen Obolus mithören können und in diesen Situationen vielleicht wichtige Infos bekommen, ohne selbst das Verhör durchzuführen. Es geht schließlich um ein Wettrennen!


City of Angels ist aber noch tiefgreifender als er bloße Verhörmechanismus. Man kann Orte durchsuchen, Verdächtige filzen, Beweise kurzzeitig verschwinden lassen und Verdächtige einschüchtern. Eine Partie City of Angels fühlt sich zu jederzeit an wie schmutzige Polizeiarbeit vom feinsten. Einen riesigen Anteil daran haben aber auch die höchst unterschiedlichen und genial konstruierten Fälle, die es zu erkunden gibt. Okay, man kann als Detektiv jeden Fall nur einmal lösen, aber im Anschluss bleibt - der für mich persönlich viel spannendere - Part des Chisels, der wie ein guter Marionettenspieler die Detektive durch den Fall leitet und wie ein klassischer DungeonMaster für die Balance am Spieltisch sorgt. Rollenspiel (verstellte Stimmen bei den Befragungen) und Leidenschaft für das Thema sind ein willkommener Bonus!


Die Fälle City of Angels sind zudem höchst unterschiedlich und bieten (zumindest in den schwierigen Fällen) zahlreiche Finten und falsche Hinweise, die der Chisel geschickt den Polizisten mit auf den Weg geben kann. Es gibt nichts befriedigenderes, als wenn eine Finte aufgeht und der jeweilige Polizist voller Frust feststellen muss, dass er wohl doch nicht alles aus einem Verdächtigen herausbekommen hat. Das System selbst bietet zudem die Möglichkeiten der sogenannten „Mystery Cards“, welche manchen Fällen beiliegen und die so unterschiedlich genutzt werden (wegen Spoiler keine weiteren Infos), dass man nur erahnen kann, was noch alles mit diesem genialen System möglich ist.


Bevor Ihr jetzt jedoch wie wild auf den Kaufbutton klickt noch ein wichtiger Hinweis. City of Angels ist nur auf englisch erhältlich und es erfordert fortgeschrittene Englischkenntnisse, um das Spiel vernünftig spielen zu können. Jeder Fall hat eine sehr ausführliche Einführung (welche sogar vertont auf der Verlagswebseite stilsicher umgesetzt wurde), welche auch stets im Slang der 40er Jahre gehalten ist. Zudem kommt es bei den Verhören nicht selten auf Nuancen in den Aussagen an, welche man nur erkennt, wenn man wirklich sehr gut englisch lesen kann. In einer Runde bei mir kam es tatsächlich vor, dass ein Spieler einen (eigentlich eindeutigen) Hinweis nicht verwerten konnte, weil er eine Aussage nicht huntertprozentig zuordnen konnte.


Ansonsten: City of Angels ist für mich das derzeit absolut beste Detektivspiel auf dem Markt. Es bietet sogar einen interessanten Solomodus und einen kooperativen Modus. Der Hauptaspekt ist aber sicherlich das kompetitive Spiel der Detektive untereinander gegen den Chisel, der seine Rolle zwar auch als weiterer Gegner interpretieren kann, aber - meiner Meinung nach - eher als GameMaster agieren und den eigenen Sieg in den Hintergrund stellen sollte. Die Stories sind vielfältig, komplex und mit viel Liebe zum Detail ausgearbeitet. Das Thema kommt bei jedem kleinen Punkt perfekt rüber und selten hat mich ein Spiel in der letzten Zeit so süchtig gemacht. Ich kann kaum auf die neue Erweiterung bei Kickstarter warten! Genial!

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Detective: City of Angels von Evan Derrick
Erschienen bei VanRyderGames
Für 1 bis 5 Spieler in ca. 120 Minuten
Boardgamegeek Link


sämtliche Bilder sind von uns selbst erstellt oder aus dem Pressematerial des jeweiligen Verlages (hier VanRyderGames)