27.11.2019

Raccoon Tycoon


Eine Fuchsdame und ein flauschiger Kater, allesamt in Kleidern aus dem Gilded Age, Dollarnoten mit Dachsporträt und eine übergroße Holzfigur eines putzigen Waschbären; der Inhalt von Raccoon Tycoon lässt nicht gerade darauf schließen, dass es sich hier um ein Stock-Market Spiel handelt. Wer jetzt aber denkt, Raccoon Tycoon sei ein trockenes Wirtschaftsspiel mit einem zusammenhangslos aufgemalten Thema, hat in einer Hinsicht recht, das Tierthema ist tatsächlich ein auswechselbarer Platzhalter, das Spiel aber ist Bombe!

In Raccoon Tycoon spielen wir Aktionäre, die mittels Warenverkauf und Marktkapitalisierung große Gewinne erzielen möchten, um sich Eisenbahnen zu ersteigern, Städtchen zu bauen und am Ende die meisten Siegpunkte davontragen. Das klingt alles etwas kompliziert und vor allem nach altem Schuh, aber glaubt mir, die Mechanik von Raccoon Tycoon macht daraus etwas Einzigartiges.


Der Spielplan von Raccoon Tycoon hat vier Segmente: Ganz oben finden sich diverse Güter, wie Holz oder Eisen, wieder, die sich auf einer Leiste befinden, die den Wert der jeweiligen Ware angibt. Dieser Wert steigt aufgrund von Angebot und Nachfrage. Links darunter liegen Eisenbahnunternehmen aus, die im Laufe des Spiels ersteigert werden können. Diese Unternehmen bringen und am Ende Siegpunkte und sind daher sehr begehrt. Außerdem bekommen wir Extrapunkte, wenn wir Sets sammeln, also die gleichen Eisenbahnkarten. Rechts neben den Eisenbahnen kann man Stadtkarten kaufen, dafür muss man entweder Geld oder eine bestimmte Ressource ausgeben. Und unter dem Spielbrett liegen Gebäudekarten, die einem Boni geben, wie z.B. einen Rabatt beim Bieten auf Eisenbahnen oder das Erhöhen des Handkartenlimits.


Die Handkarten benutzt ihr, um gleichzeitig Waren zu erhalten, also zu produzieren und den Marktwert einzelner Waren zu erhöhen. Dafür unterteilt sich eine solche Handkarte in zwei Bereiche. Im unteren Bereich seht ihr die Waren, die ihr produzieren könnt, dabei sind oftmals mehr Waren abgebildet als ihr erhalten werdet. Ihr müsst euch hier für drei der Waren entscheiden, es sei denn ihr habt ein Gebäude, dass auch diese Regel verändert, dann dürft ihr auch bis zu vier oder sogar fünf Waren produzieren. Im oberen Bereich der Karte werden die Waren abgebildet, die durch das Ausspielen der Karte im Wert steigen. Wenn eine Ware im Wert steigt, bewegt man diese einfach die entsprechende Anzahl an Feldern nach oben. Dabei unterscheiden sich Waren in ihren Grundwerten, während Holz oder Weizen mindestens 1$ und höchstens 12$ Wert sein können, sind Luxusgüter mindestens 3$ und maximal 14$ wert. Verkauft man eine Ware, sinkt diese automatisch, um die verkaufte Anzahl, an Feldern, im Wert. 


Ein Spielzug besteht aus genau einer von fünf möglichen Aktionen. Entweder ihr spielt eine Karte, verkauft Güter, kauft Gebäude, kauft eine Stadtkarte oder bietet auf ein Eisenbahnunternehmen. Letzteres funktioniert so, dass der aktive Spieler ein Startgebot abgibt und dann reihum so lange überboten wird, bis nur noch ein Spieler übrigbleibt. Dieser Zahlt die entsprechende Summe an die Bank und erhält die Eisenbahnkarte. Neben den Siegpunkten, hat eine Eisenbahnkarte die Funktion, eine Stadtkarte auslegen zu können, um die darauf abgebildeten Siegpunkte am Spielende zu erhalten; ohne Eisenbahnkarte ist eine Stadtkarte also wertlos. Wenn der Spieler, der eine Auktion eingeleitet hat, die Auktion nicht gewinnt, darf er sich erneut für eine der fünf Aktionen entscheiden. 

Zum Schluss werden Siegpunkte addiert, dabei zählen auch Gebäude als Punkte und der Spieler mit den meisten Punkten ist der Gewinner.


Aktien, Spekulationen, Auktionen, Angebot und Nachfrage. Wenn mir einer gesagt hätte, dass alle genannten Begriffe nötig seien, um zu beschreiben, worum es in Raccoon Tycoon geht, hätte ich das Spiel vermutlich nie angefasst… Und damit wäre mir eines der besten Spiele des Jahres entgangen!
Ich nehme es vorweg: Raccoon Tycoon ist ein ganz besonderes Spiel, angefangen bei der Optik bis hin zum Spielgefühl, welches sich durch ein gut durchdachtes und einfaches System auszeichnet. 
Da man in seinem Zug eine recht überschaubare Auswahl an Aktionen hat, fühlt man sich zu keinem Zeitpunkt überfordert, gleichzeitig erkennt man aber viele Wege, die einem zur Verfügung stehen und zum Sieg führen könnten, oder zumindest zu Punkten. 


Der Clou bei Raccoon Tycoon besteht darin, den richtigen Zeitpunkt für das Ausspielen der Karten, dem Verkaufen von Waren und dem Bieten auf Eisenbahnen abzuwarten. Haben beispielsweise ich und einer meiner Gegner viele Luxusgüter, entsteht gleich eine Spannung untereinander, da man natürlich derjenige sein möchte, der diese Waren zum höchsten Preis verkauft und den anderen Spieler auf den nun weniger wertvollen Gütern sitzen lässt. Diesen Zeitpunkt aber abzuschätzen ist äußerst spannend und erfordert immer einen Plan B. Auch das Bieten auf Eisenbahnen ist eine Mechanik, die durch die gute Spielbalance immer oder fast immer zum Erfolg führt. Entweder locke ich meine Gegner in einen teuren Kauf oder biete gerade so viel, dass es sich für diese nicht lohnt mit einzusteigen, wenn die Gelddifferenz stimmt, oder ich überlasse meinem Gegner die Karte, kann dafür in der nächsten Runde eine neue Eisenbahn zum Günstigen Preis ergattern, wenn keiner mehr genug Dollars aufbringen kann. Auch in einem zwei Spieler Spiel funktioniert das Bieten hervorragend, und das ist bei ähnlichen Spielen nur selten der Fall. Das Beste an Raccoon Tycoon ist die Tatsache, dass alles was man in seinem Zug tut, direkt oder indirekt, die Gegner beeinflusst. Dieses Spiel hat einen sehr hohen Interaktionsfaktor und zwingt einen stets und ständig dazu am Spielgeschehen teilzunehmen, auch wenn man gerade nicht am Zug ist. Dafür sorgen alle Mechanismen, die so gut miteinander verzahnt sind, dass keine Aktion aufgezwungen oder künstlich erscheint. Der Spielfluss bleibt somit erhalten und bis zum Ende immersiv. 


Klar, das Thema ist ersetzbar und das Papiergeld, das aber aus einem hervorragenden Material ist, nervt, da man zum einen nicht sehen kann, wie viel Geld die anderen haben, wenn diese ihre Batzen stapeln und zum anderen die Haptik an Pappmünzen nicht herankommt, aber das sind auch die einzigen Kritikpunkte, die ich habe. 

Glenn Drover hat mit Raccoon Tycoon ein Spiel erschaffen, dass meiner Meinung nach ein Klassiker werden könnte. Die Regeln sind leicht, das Spielgeschehen spannend und interaktiv. Egal ob als Gate Way Game oder für Vielspieler, Raccoon Tycoon sollte man gespielt haben. Einfach nur Hammer!
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Raccoon Tycoon von Glenn Drover
Erschienen bei Forbidden Games
Für 2 bis 5 Spieler in ca. 90 Minuten
sämtliche Bilder sind von uns selbst erstellt oder vom jeweiligen Pressematerial des Verlages (hier Forbidden Games)