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12.08.2020

Tapestry


Mit Tapestry ist nach langer Zeit mal wieder ein richtiger Klopper in meinem Test-To-Do-Stapel gelandet. Der Zivilisations-Simulator für 1 bis 5 Spieler*innen möchte Im Wandel der Zeiten und Sid Meier’s Civilization mit vielen, flexibel ineinandergreifenden Spielmechaniken, einem überschaubaren Regelwerk und einer kompakten Spielzeit Konkurrenz machen. Oh, und dann wären da noch die Bauwerke.

Und damit muss dieser Text einfach beginnen. Beim Öffnen der Schachtel springt einem die Qualität der Komponenten förmlich ins Gesicht. Angefangen beim Papier, aus dem das Regelwerk besteht, über die Spielkarten, die stabilen, angerauten Spielbretter und -tableaus, den großartigen visuellen Stil und die gigantischen Gebäude-Modelle, die aufgrund ihrer sicheren Verwahrung den halben Platz in der Schachtel beanspruchen, ist Tapestry eines der schönsten Spiele. Überhaupt. Jede Komponente schreit die Liebe und Leidenschaft förmlich heraus, die in dieses Projekt geflossen sind. Die Gebäude sind unfassbar detailliert gestaltet und großartig verarbeitet und bemalt. Ganz leise meldet sich da nur eine Stimme im Kopf und fragt: Hätte es das gebraucht?


Das kann nur eine Partie beantworten: In Tapestry gilt es, die eigene Zivilisation zu Ruhm, Macht und Wohlstand zu führen. Gemessen wird dies in Siegpunkten. Wer davon am Ende des Spiels die meisten besitzt, gewinnt.

Um die Zivilisationen voranzubringen, werden Ressourcen benötigt, daher ist der erste Zug eines jeden Spielers ein sogenannter Einkommenszug, durch den man ein erstes „Budget“ erhält, das gewinnbringend eingesetzt werden muss. In den weiteren Zügen gibt man diese Rohstoffe aus, um auf einer der vier Fortschrittsleisten ein Feld voranschreiten zu dürfen. Dafür gibt es unterschiedliche Boni und Aktionen, die das Reich gedeihen lassen.

Über die Entdeckungsleiste erkundet man das umliegende Gebiet und findet neue Ressourcen oder andere Boni, während man über die Militärleiste diese Gebiete unter seine Kontrolle bringt und dafür noch einmal eine Belohnung kassiert. Auf diese Weise lassen sich auch Gebiete der Mitspieler*innen einnehmen. Dazu stürzt man den Wachturm der Kontrahent*innen und stellt einen der eigenen Farbe in das Gebiet. Sobald ein Gebiet durch einen solchen Zug einmalig seine*n Herrscher*in gewechselt hat, kann es im weiteren Spielverlauf nicht mehr erobert werden. 


Das mag Spieler*innen, die mehr auf Krawall aus sind, etwas vor den Kopf stoßen. Das Kampfsystem in Tapestry ist sehr rudimentär und hat keinen strategischen Tiefgang. Der Bau von Einheiten oder ein taktischer Einsatz derselben entfällt. Wer zügig auf der Militärleiste voranschreitet, kann viele Gebiete (auch die von Mitspieler*innen) einnehmen, wodurch die Situation auf der Weltkarte schnell entschieden bzw. festgefahren sein kann. Sich für eine schnelle Expansion zu entscheiden, ist eine valide taktische Vorgehensweise, gegen die die Mitspieler*innen entweder genauso entschlossen vorgehen müssen oder es sofort bleiben lassen und sich auf andere Formen des Fortschritts konzentrieren sollten - Technologien beispielsweise. Über diese Leiste lassen sich verschiedenste Erfindungen in Form von Karten erhalten, die in den weiteren Einkommenszügen oder über bestimmte Felder auf der Technologieleiste aufgewertet werden können. Je nach Erfindung erhaltet ihr so Siegpunkte, Ressourcen, Bonusaktionen oder Wahrzeichen.


Diese Wahrzeichen stellen einzigartige Gebäude dar, die ihr auf eurem individuellen Hauptstadttableau platzieren dürft. Dieses Tableau zeigt eine 9x9 Felder große Fläche, bedeckt mit Seen, Wäldern oder Bergen, in die ihr diese Wahrzeichen einbetten könnt. Vervollständigt ihr so einen 3x3 Felder großen Quadranten erhaltet ihr eine beliebige Ressource. Vervollständigte Zeilen und Spalten werfen Punkte während der Hauptstadtwertungen ab, die mindestens immer bei den Einkommenszügen zum Tragen kommen. Neben den bildhübschen Wahrzeichen könnt ihr auch generische kleine Gebäude von eurem Einkommenstableau in eurer Hauptstadt platzieren. So schaltet ihr außerdem zusätzliche Boni und Ressourcen frei, wenn ihr das nächste Mal einen Einkommenszug macht.

Ab eurem zweiten Einkommenszug im Spiel dürft ihr außerdem eine der namensgebenden Gobelinkarten (im Englischen „Tapestry Card“) spielen, die einen Sofortbonus oder einen einzigartigen Vorteil bis zum Ende der Ära, also bis zum nächsten Einkommenszug beschert. Diese Karten erhaltet ihr über die Leisten, die Technologien, euren Einkommenszug oder erkundete Gebietsplättchen.


Diese starke Verzahnung der einzelnen Spielmechaniken machen den Reiz von Tapestry aus. Das Koppeln möglichst effizienter Züge und Aktionen, um den größten Gewinn aus den ausgegebenen Ressourcen zu schlagen, fasziniert ungemein und ist bei korrekter Ausführung überaus befriedigend, benötigt aber auch viel taktisches Geschick, gutes Vorausplanen und Kenntnis der Regeln und Möglichkeiten, die das Spiel bietet.

In Tapestry wird schnell anhand der Punktzahl ersichtlich, wer das Spiel zum ersten Mal spielt und wer bereits einige Partien auf dem Buckel hat. Zu oft glotzt man in den ersten Partien verwirrt auf das Spielbrett und hat einen Aha-Moment nach dem anderen, weil man erst nach und nach durchschaut, welche Möglichkeiten das kompakte Regelwerk und das fokussierte Spieldesign bieten. Das soll aber nicht heißen, dass Glück und Zufall zu vernachlässigende Kräfte wären. Ganz im Gegenteil. Das fängt schon bei den wählbaren Zivilisationen an, die sich in ihren Eigenschaften qualitativ so stark unterscheiden, dass dem Spiel in der deutschen Version ein Blatt mit Balancing-Hinweisen beiliegt, die bei Spielbeginn zu berücksichtigen sind. In unserer ersten Partie zu zweit trafen etwa die Auserwählten auf die Herolde. Erstere starten bereits mit 15 Siegpunkten pro Spieler*in, Letztere mit -15 Siegpunkten. Es wurde noch kein einziger Zug gemacht und trotzdem war eine Zivilisation bereits 30 Punkte in Führung. Und hat am Ende trotzdem verloren. Das spricht für die Wirksamkeit der Anpassungen. Irritierend ist es trotzdem.


Die Zufälligkeiten setzen sich aber durch das ganze Spiel fort: Welche Gobelinkarten, Techkarten oder Gebietsplättchen man zieht, hat enormen Einfluss auf das Spielgeschehen, ganz besonders, was die Zahl der möglichen Züge angeht, bevor man wieder einen Einkommenszug machen muss. Auch hier sind Mechanismen installiert, die das auszugleichen versuchen. Deren tatsächliche Wirkung konnte aber nicht immer nachvollzogen werden.

Um noch ein Beispiel für die Wirkmächtigkeit des Glücksfaktors zu geben: Die vierte Leiste ist die Wissenschaftsleiste. Sie erlaubt euch in der Regel, den grünen, achtseitigen Würfel zu werfen und auf der erwürfelten Leiste kostenlos ein Feld vorzurücken (mal mit, mal ohne zugehöriger Bonusaktion). Ich hatte in einer Partie das Glück, immer dasselbe Symbol zu würfeln und so auf einer Leiste sehr schnell, sehr weit voranschreiten zu können. Die Boni haben mir frühzeitig mächtige Züge ermöglicht. Pech, wer da auf der Strecke bleibt, weil die Mechanismen bei ihm/ihr nicht so perfekt ineinandergreifen. Das lässt sich natürlich immer auch auf den Erfahrungsstand der Spieler*innen zurückführen. Vielleicht gibt es eine passende, alternative Taktik, die sich in solchen Fällen anbietet. Um diese zu erkennen, braucht es aber mehr Erfahrung im Spiel. Dadurch muss man sich aber noch durch diese und vielleicht weitere schlecht laufende Partien quälen. Der Frust, der sich aus dem „Nicht mehr wirklich mitspielen können“ ergibt, bleibt die ganze Partie bestehen, weil man aus diesem Tief nicht mehr herauskommt.


Allerdings gab es auch spannende Aufholjagden in unseren Partien, die die Rangliste kurz vor Spielende noch einmal gehörig durcheinandergebracht haben, obwohl alles entschieden zu sein schien. Hier wussten aber alle, was sie taten und der Punkteregen am Ende war gut kalkuliert und kein Glücksfall. Tapestry erinnert da ein bisschen an Archipelago, das ähnlich ambitioniert verschiedenste Mechaniken verquirlte, aber bei dem in jeder Partie aufs Neue geprüft werden musste, ob das gesamte Spielkonzept „Hit or Miss“ ist.

Das macht aber auch den Reiz des Spiels aus: Ein Füllhorn an zu kombinierenden Aktionen, die großartige Belohnungen abwerfen, wenn man sie nur richtig verkettet. Ein toller visueller Stil mit grandiosen Komponenten und eine überschaubare Spielzeit (eine Zwei-Spieler-Partie dauert eine Stunde, wenn jeder weiß, was zu tun ist), obwohl Tapestry so ein Brocken ist. Und doch ist es fair das oftmals sehr zufällige und schlecht gebalancte Spielkonzept zu kritisieren oder den sehr hohen Preis, der den hochwertigen Komponenten geschuldet ist. 

Womit wir wieder bei der anfangs gestellten Frage wären, ob es diese Bauwerke gebraucht hätte: Definitiv nein. Gerade auch, weil die so prunkvoll modellierten Wahrzeichen, dann eine eher untergeordnete Rolle im Großen und Ganzen spielen. Dennoch ist Tapestry ein tolles Spiel, ein guter Zivilisationsmanager und eine großartige strategische Kopfnuss für Knobler. Ich möchte dieses Spiel nicht in meiner Sammlung missen, für Genre-Neulinge ist „Im Wandel der Zeiten“ oder die „Civilization“-Reihe (vor allem der FFG-Erstling!) aber die bessere Wahl.

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Tapestry von Jamey Stegmaier
Erschienen bei Stonemaier Games
Für 1 bis 5 Spieler in 120 Minuten ab 12 Jahren
Boardgamegeek Link

sämtliche Bilder sind von uns selbst erstellt oder aus dem Pressematerial des jeweiligen Verlages (hier Stonemaier Games)