16.05.2021

Overboss


In einem längst vergessenen Land versucht der Böse Ganon der Schattenwelt zu entkommen und schließt dafür Prinzessin….Halt, Stopp! Falsche Baustelle! Es soll hier ja gar nicht um das legendäre (habt ihr’s erkannt?) A Link to the Past gehen, sondern um Overboss. Nur dass das Spiel so aussieht, als hätte jemand die Grafiken aus eben jenem SNES-Klassiker gemopst und in ein Brettspiel verwandelt. Das Retro-Gamer-Herz schlägt hier also direkt höher. Doch dieses Gefühl kennen wir ja bereits aus Boss-Monster und man sieht Overboss durchaus auch an, dass beide Spiele aus dem gleichen Hause kommen. Doch ist es auch das gleiche Spiel in neuem bzw. eigentlich ja alten Gewand?


Beim Öffnen der Box offenbarte sich mir ein unfassbar gut strukturiertes, mehrstöckiges Inlay, in dem alles seinen eigenen Platz hat. Und dank eines schicken Zwischendeckels kann auch beim Transport kein einziges (hochwertig gearbeitetes) Tile verrutschen. Was auch gut ist, denn die Packung ist recht ordentlich bestückt: Es gibt 11 verschiedene Arten von Tiles (Regionen) und von jeder Sorte (außer den Dungeons) gibt es jeweils 12 Tiles. Zu jeder Region gibt es dann nochmal 11 Tokens (10 Regionale Monster sowie ein Regionskristall) sowie weitere Tokens. Dann noch ein paar Karten, ein Punktezählblock und ein (leider bereits beim ersten Spiel sich auflösender) Beutel. Nicht zu vergessen die schicken und recht groß geratenen Playerboards. Ein wenig schräg fand ich allerdings, dass auf einem Flyer zwei kostenpflichtige „Mini-Erweiterungen“ angepriesen werden, die dem Spiel mehr Optik aber keinerlei Funktion bieten und die lediglich auf der Herstellerhomepage verkauft werden. Für diese ist nämlich auch ein eigener Platz in der Box reserviert (ebenso ein weiterer Platz für einen Stapel Tiles). Hm…fühlt sich ein wenig so an, als wenn man nach Fertigstellung des Spiels einfach ein paar Sachen entfernt hätte, um sie gesondert verkaufen zu können, was einen etwas faden Beigeschmack mit sich bringt. Sowas kennt man von modernen PC-Games, aber von A Link to…argh, wieder die falsche Baustelle.


Sei’s drum: Das Spiel lässt sich Dank des tollen Inlays in 2 Minuten aufbauen und Dank der einfachen Regeln in 3 Minuten erklären: Von den 10 Regionen werden per beiliegender Karten zufällig 5 Regionen ausgewählt. Die entsprechenden Tiles werden zusammen mit den Dungentiles gemischt und als verdeckter Stapel bereitgestellt. Die Tokens der Regionen kommen in den Beutel, zusammen mit Portaltokens und Minibosstokens. Nun werden vier Tiles ausgelegt und dazu vier Tokens aus dem Beutel gezogen, die direkt zu den Tiles gelegt werden und nicht getauscht werden dürfen. Wer an der Reihe ist, nimmt sich einen Tile samt Token und platziert diese auf seinem Board. Danach wird der Markt aufgefüllt. Das Spiel endet, sobald alle Spieler ihr Board voller Tiles haben. Es gewinnt, wer die meisten Punkte erzielen konnte. 


So simpel die Mechanik im Kern ist, so komplex ist aber das Punkten in Overboss:  Jede Region hat ihre eigene Art und Weise, Punkte einzubringen. So bringen Wälder exponentiell mehr Punkte, je mehr man von ihnen hat, während Vulkane eine feste Punktzahl einbringen oder Höhlen bspw. nur dann so wirklich Punkte bringen, wenn sie angrenzend an ein Gebirge gebaut wurden. Weiterhin zählen auch die Tokens: Ein Regionsmonster das auf der richtigen Region liegt, bringt einen Punkt. Zwei, drei oder gar vier gleiche Monster in einer Reihe bilden aber eine „Band“ und bringen nochmal deutlich mehr Punkte. Ein Regionskristall bringt pro passendem Tile ebenfalls nochmal Sonderpunkte und auch die Minibosse bringen Punkte ein. Die Krux an den Tokens: Hat man ein Monstertoken oder einen Miniboss und kann diesen auf ein Tile legen, muss man dies auch immer tun, ob die Region nun passt oder nicht. Und später tauschen ist nicht, es sei denn, man hat einen der recht seltenen Portaltokens. Dann darf man einmalig auch zwei Tokens auf dem eigenen Board tauschen.


Overboss dreht sich also schlicht und ergreifend darum, sein Playerboard taktisch klug und sehr durchdacht anzulegen und ja keinen falschen Token zu erwischen. Für Hobby-Optimierer ein gefundes Fressen. Doch klingt diese Beschreibung vielleicht hochtrabender, als es ist. Durch die Beschränkung auf vier Tiles mit jeweils fest zugeordnetem Token in der Auslage, bleibt einem oft keine Wahl und man muss schlicht und ergreifend in den sauren Apfel beißen und nehmen, was halt da ist. Dann muss man eben das Beste daraus machen, was durchaus auch mal taktisch sein kann. Ehrlicherweise ist aber das Board in der Grundversion recht schnell vollgebaut, so dass man hier oftmal keine wirkliche Wahl hat.

Um ehrlich zu sein, hat mich das Spiel bis hierhin nicht wirklich überzeugt. Im Kern spielt man nebeneinander her und schnappt sich vielleicht mal ein Tile oder Token vor der Nase weg, aber miteinander oder gar gegeneinander spielt man nicht. Das Spiel kommt aber glücklicherweise mit einigen optionalen Regeln und Komponenten daher, die ein wenig frischen Wind bringen.
Da wären zunächst die Bosskarten, die geheim gehalten werden und einmal pro Spiel eine Sonderfähigkeit sowie Zusatz-Punkte für bestimmte Dinge am Ende mit sich bringen. Ok, ändert noch nichts am Nebeneinanderher, aber stört zumindest die Gleichförmigkeit des Spielablaufs. Dann haben die Playerboards eine Rückseite mit einem 4x4 Raster statt dem 4x3 Raster der Grundversion. Dies bietet natürlich dem Optiererherz ein wenig mehr Spielraum, ändert aber ebenfalls nichts am geschilderten Grundproblem.


Was aber wirklich zu einer Veränderung des Spielgefühls beiträgt, sind die Kommandokarten. Mit denen lassen sich nämlich sämtliche(!) Playerboards verändern. Von diesen Karten kommen zu Spielbeginn vier Stück offen auf den Markt. Jede Karte zeigt dabei ein Muster, das man auf seinem Playerboard mit identischen Terrains bauen muss. Hat man dieses Muster in seinem Zug erreicht, kann man die jeweilige Aktion auslösen. Hierbei gibt es drei Aktionen: ein Tile um ein Feld verschieben, ein Tile zerstören und den Besitzer zwingen ein neues Tile zu nehmen (kann von Optimierern auch gut auf dem eigenen Board genutzt werden) und zu guter Letzt zwei Tiles mit einander tauschen. Klingt unspektakulär, aber grade die letzte Aktion hat es in sich, denn es ist völlig wurscht, wo die Tiles liegen. So kann ich einem Gegner bspw. ein Tile das ich brauche wegnehmen und ihm einen meiner Vulkane dafür geben. Toll, oder? Ach ja: Ein Vulkan, der gesetzt wird, zerstört sofort alle Token auf den umliegenden Gebieten. *bösesBossmonsterLachen*

Im Gegenzug sind die Muster für die letzte Aktion natürlich schwerer zu hinzubekommen als die Muster für die erstgenannte. Und man muss immer abwägen: Nehme ich nun Tile x um mein Muster voll zu bekommen oder doch lieber Tile y um ein paar Punkte mehr rauszuschlagen. Grade durch die Karten gewinnt Overboss also die Dynamik, die das Spiel ansonsten leider komplett vermissen lässt. Spielt also am besten nie ohne die Karten! Unter dieser Voraussetzung ist Overboss ein nettes, recht taktisches Mittelgewicht und kann für den ein oder anderen bösen Absacker beim Spieleabend sorgen. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.

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Overboss von Aaron Mesburne und Kevin Russ
Erschienen bei Brotherwise Games
Für 1 bis 5 Spieler in ca. 25 Minuten ab 8 Jahren

sämtliche Bilder sind von www.boardgamegeek oder dem jeweiligen Verlag (hier Brotherwise Games)