26.08.2022

Brazil Imperial


Brazil Imperial ist in vielerlei Hinsicht ein beachtliches Spiel: Autor, Thema, Ausstattung, 4x in einen Nicht-SciFi/Fantasy-Setting. Es gibt einige Punkte, durch welche Brazil Imperial Aufmerksamkeit erregt. Hat man die Box des Spieles in den Händen, so ist das erst einmal die aufsehenerregende prächtig und bunt illustrierte und mit Linen-Finish versehene Box selbst. Öffnet man diese. so stellt man fest, dass das strahlende Gewand nicht über mauen Inhalt hinwegtäuschen soll. Auch innerhalb der Box ist die Ausstattung hochwertig. Viel Holz, dicke Pappplättchen, Double-Layer-Boards, eine mitgelieferte passgenaue Sortierbox. Die Ausstattung ist ein Fest für die Augen. An Brazil Imperial war ein Team von neun Grafikern beteiligt. Die Illustrationen wirken trotzdem wie aus einem Guss. Und es wurde nicht an Illustrationen gespart. Jedes Playerboard und jede Gemäldekarte haben eine individuelle Illustration. Und auch die Holzfiguren für Militäreinheiten und Paläste der Spieler haben unterschiedliche Formen. Auf Materialseite zieht Brazil Imperial also so ziemlich alle Register.


Doch auch der Hintergrund des Spieles ist bemerkenswert. Brazil Imperial ist das zweite Spiel des brasilianischen Autors Zé Mendes und ist zuerst im brasilianischen Verlag MeepleBR erschienen. Für den deutschen Markt wurde das Spiel durch Giant Roc über eine Spieleschmiede-Kampagne lokalisiert. Bei Brazil Imperial reden wir über ein Zivilisationsspiel, angesiedelt in Brasilien, welches von einem brasilianischen Autor entwickelt wurde. Zivilisationsspiele mit Kolonialisierungselementen sind ja durchaus ein etwas heißeres Eisen. So gab es in den letzten Jahren auch immer wieder Diskussionen um den Kennerspielklassiker Puerto Rico. Spannend bei Brazil Imperial ist in jedem Fall, dass der typisch eurozentrische Blick auf ein kolonisiertes Land hier in der Form nicht stattfindet. So sind als spielbare Charaktere auch Persönlichkeiten wie Tibirica und Dom Oba II spielbar. Und auch bei den zu spielenden und erwerbenden Karten sind die Karten mit Ureinwohner*innen nicht klassisch „Gefahrenkarten“, sondern haben für die Spielenden positive Effekte auf das Spielgeschehen. Der Blick auf das Geschehen ist also ein leicht anderer. Es heißt in der Anleitung aber auch, dass Giant Roc die ursprüngliche brasilianische Version ein wenig überarbeitet hat und dabei „patriotische Elemente“ abgemildert habe. In Unkenntnis der brasilianischen Auflage kann ich nicht einschätzen wie stark hier der Eingriff war. Festzuhalten ist aber trotzdem, dass man im Spiel schon Handlungen klassischer Kolonialisierungsspiele verfolgt und beispielsweise auf Entdeckungsreise durch die Urwälder reist oder Plantagen betreibt. 


Kommen wir also zu dem was wir in Brazil Imperial unternehmen: Wir streben danach nach drei Epochen die Macht zu sein, welche am meisten Einfluss/Siegpunkte erwerben konnte. Hierfür erkunden wir den Spielplan, heben Einheiten aus, bauen Paläste und Gebäude, produzieren Waren, kämpfen mit Mitspieler*innen, erwerben Gemälde, erfüllen Aufträge und verbessern mit Produktionsgütern unser Spielertableau. Zu Spielbeginn erhalten die Mitspielenden je zwei Aufgabenkarten für jeder der drei Epochen. Für jede der Epochen sucht man sich dann eine Aufgabe aus. Diese will man im Laufe des Spieles erfüllen um die damit zu gewinnenden Punkte zu erhalten. Weiterhin wird der Wechsel in die nächste Epoche vollzogen sobald eine Epochenkarte der aktuellen Epoche durch eine Person am Tisch erfüllt ist. Wird eine Aufgabenkarte der dritten Epoche erfüllt, so endet am Rundenende das Spiel und es geht an das Auszählen der Siegpunkte. Zu diesen kann man auf den verschiedensten Wegen gekommen sein. Brasilianischer Feldsalat also.

Der Rundenablauf von Brazil Imperial ist sehr einfach und eingängig. Am Zug macht man eine Aktion und bewegt dann eine Einheit. Dies geht so im Uhrzeigersinn herum bis das Spiel irgendwann endet. Auch die Aktionsmöglichkeiten sind einfach und eingängig. Es gibt derer sieben Stück und sie sind auf dem Spielertableau abgebildet. Mit einem Epochenmarker markiert man die gewählte Aktion und führt diese dann durch. In der Folgerunde muss man dann eine andere Aktion wählen. Zu den Aktionsmöglichkeiten zählen Einheiten rekrutieren, Gemäldekarten erwerben, Gebäude bauen, Rohstoffe produzieren, die Spieleraktionen auf dem Tableau verbessern sowie Tausch- und Handelsaktionen.

Auf die durchgeführte Aktion folgt dann die Bewegungsphase. In dieser dürfen wir eine unserer Einheiten ein Feld weiterbewegen. Abhängig von der zuvor gewählten Aktion haben wir vielleicht auch noch eine Bonusbewegung. Der Spielplan selbst bei Brazil Imperial ist modular und es gibt am Ende der Anleitung acht Aufbauempfehlungen wie man die verschiedenen, aus Hexfeldern bestehenden, großen Spielplanteile anordnen kann. Weitere Empfehlungen sollen noch folgen. In Theorie kann man den Plan aber auch nach eigenem Gusto aufbauen. In jedem Fall sind jedem Mitspielenden nach dem Spielaufbau ein Feld für die Startstart zugeordnet. Hier beginnt man mit den ersten Bewegungen – sofern man denn schon eine Einheit rekrutiert hat. Wenn nicht, dann entfällt die Bewegungsphase. Lange warten sollte man aber nicht bis man sich an der Hatz über den Spielplan beteiligt. Schließlich gilt es den Plan zu erkunden. Entdeckungsplättchen warten auf ausgewählten Feldern. Weiterhin will man möglichst weit vordringen um andere Spieler*innnen daran zu hindern sich zu weit auf der Karte auszubreiten. Gebaut wird nämlich auf dem Spielplan selbst. Mit der Aktion Bauen platziert man Hexplättchen auf dem Spielplan. Dies geht nur angrenzend zu eigenen Besiedlungen oder dort wo die Militäreinheit Commodore steht. Markiert werden diese Gebäude durch Marker der eigenen Spielerfarbe. Lässt man sich zu viel Zeit, so sind die eigenen Ausbreitungsmöglichkeiten arg eingeschränkt. Und sich ausbreiten, das will man. Zum einem sind Gebäude und Städte am Ende des Spieles Siegpunkte wert. Zum anderen werden in den Gebäuden Kulturpflanzen, Bildung und Geld produziert. Mit diesen Ressourcen wird in Brazil Imperial bezahlt. Man braucht sie also um weitere Gebäude zu bauem, Gemälde zu erwerben und vieles mehr. Was ist in Bewegungsphase auch noch passieren kann ist, dass es zum Kampf kommt. Dies geschieht, wenn wir ein Feld mit einer gegnerischen Einheit bzw. Gebäude/Stadt betreten. Dann folgt sofort eine recht simpel gehaltene Kampfphase bei der im Grunde nur Stärken von Einheiten verglichen werden. Es dürfen allerdings noch Kampfkarten von der Hand dazu gespielt werden. Beim Einheitenkampf sind die Konsequenzen Einheitenverlust und/oder Rückzug. Beim Kampf gegen Städte oder Gebäude kann es zur Besetzung kommen. Solange wie die Militäreinheit auf dem Gebäudeplättchen verbleibt hat der oder die Erobernde dann Zugriff auf die Ressourcen des Plättchens. Hält er oder sie es sogar bis zum Spielende, so sind dem/der Erobernden auch die Siegpunkte des Plättchens. Trotz der stattfindenden Kämpfe ist Brazil Imperial aber kein hartes Kampfspiel. Einheiten gehen nie ganz verloren und Gebäude werden auch nicht komplett zerstört. Das Kämpfen ist ein taktisches Element, es ist aber nicht so mächtig, dass es zwingend ist zu kämpfen. Komplettes Turteln ist aber auch schwierig. Zum einem macht man das Spiel um die Entdeckungsplättchen dann nicht mit. Zum anderen bringt das Rekrutieren von Einheiten auch Siegpunkte. Weiterhin sind Einheiten auch gerne Bedingungen um Epochenkarten zu erfüllen. Es gilt also abzuwägen.

Abzuwägen und Effizienzen zu erkennen ist im Grunde auch der Kern des Pudels bei Brazil Imperial. Es kommt zwar als 4x bzw. Zivilisationsspiel daher, meiner Einschätzung nach ist es von den Mechanismen und dem Spielgefühl her aber eher ein Euro. So sind die Gemäldekarten, welche man durch eine Aktion ja erwerben kann, auch ein sehr wichtiges Spielelement. Durch diese bauen wir uns individuelle Stärken auf und werden in unserem Handeln effizienter. Schon zu Spielbeginn ist das Spiel ein wenig asymmetrisch. Die Spielertableaus unterscheiden sich leicht. Kosten für Einheiten und deren Fähigkeiten divergieren. Weiterhin wählt man sich unter mehreren Charakteren noch einen aus. Jener Charakter bringt dann wiederum auch nochmal eine persönliche Fähigkeit mit.



Als Spielzeit einplanen sollte man für Brazil Imperial mindestens etwa 100 Minuten. Gut 2 Stunden sind meines Ermessens in voller Besetzung realistisch. Da das Spiel – abgesehen von der Kartengröße - keine Skalierung auf die Spieler*innenzahl vornimmt, dauert es in größeren Runden zwingend länger als bspw. im Zweipersonenspiel. Die unterschiedlichen Spielplangrößen wiederum sind sehr sinnvoll um das Spielgefühl bei wechselnder Spieler*innenanzahl vergleichbar zu halten. Brazil Imperial ist meiner Einschätzung nach ein Spiel im gehobenen Kennerspielbereich. Kein ganz dicker Brocken aber beim besten Willen auch kein Leichtgewicht. Die Anleitung ist gut strukturiert und bebildert und hat uns eigentlich keine Fragen offengelassen. Auch die Ikonographie empfinde ich als gelungen. Einzig an zwei Stellen des Spielertableaus hätte ich mir Querstriche gewünscht damit deutlich würde, dass man zwischen Optionen zu wählen hat. Brazil Imperial ist trotz der Materialopulenz keines dieser dicken Eurospiele bei denen man durch die Regeln erschlagen wird oder es zu jeder einzelnen Aktion fizzelige Details zu beachten gibt. Im Gegenteil die Aktionsmöglichkeiten und der Rundenablauf sind sehr klar und flott erklärt. Der Anspruch des Spieles ergibt sich eher daraus aus den vorliegenden Möglichkeiten das beste rauszukitzeln und den Überblick darüber zu behalten wie man möglichst schlank an die eigenen Siegpunkte kommt. So ist Brazil Imperial ein Spiel welches dazu verleitet aufzubauen und zu erschaffen. Im Kern ist es aber auch ein Rennspiel, denn wer es als erstes schafft eine Epochenkarten der dritten Epoche zu erfüllen., der beendet das Spiel. Diese Person gewinnt nicht zwingend das Spiel. Das Erfüllen der Epochenkarten macht aber einen nicht unerheblichen Teil der eigenen Siegpunkte aus. Weiterhin erlaubt das Erfüllen dieser Aufgabenkarten auch den Bau von Palästen, durch welche sich zusätzliche Siegpunkt erzielen lassen. Es lohnt sich also die Mitspielenden im Blick zu haben und nicht allzu solitär an den eigenen Synergien zu arbeiten. Die gilt im besonderen Maße auch für die militärischen Aktivitäten der anderen Menschen am Tisch. Denn sitzt erst einmal eine gegnerische Einheit auf unserer Zuckerrohrplantage, dann kommen wir nicht mehr an den darauf gelagerten Zucker ran.


Für Solospieler mag auch interessant sein, dass es eine wirklich einfache Solovariante des Spieles gibt. Das Spiel wird im Grunde nach den normalen Regeln gespielt. Die Variante selbst ist in wenig Textabschnitten erklärt. Das Solospiel findet auf einer kleinen Karte gegen einen statischen Gegner statt. Ziel ist es drei vorgegebene Ziele innerhalb von 20 Zügen zu erreichen. Im Vergleich zum Mehrpersonenspiel sehe ich das eher als eine Fingerübung. Es mag helfen die Regeln zu verinnerlichen, bietet aber wenig Abwechslung. In jedem Fall ist es aber eine einfach zu spielenden Solo-Variante, welche ohne großen Verwaltungsaufwand auskommt, wie man ihn bspw. aus Spielen mit Automas kennt.


Sehr gut gelungen finde ich die regeltechnischen Kniffe, welche verhindern, dass das Spiel zu sehr in Richtung Enginebuilder oder Wargame abgleitet. So ist bspw. das Produzieren immer auf ein Produktionsgebäude beschränkt und die Einheitenbewegung meist auch nur für 1-2 Einheiten ein Feld weit möglich. Ich denke man kann dem Tonfall dieses Textes gut entnehmen, dass ich von Brazil Imperial angetan bin. Es bricht für meinen Geschmack 4x/Zivilisationsspiel hervorragend auf ein Format herunter, welches sich bequem an einem normalen Spieleabend spielen lässt. Optisch und Ausstattungsmäßig ist Brazil Imperial ein Augenschmaus. Besonders das Holzmaterial ist gigantisch. Zusätzlich zu den Einheiten und Palästen sind auch noch alle Ressourcen aus Holz. Im Vorfeld der Lokalisierung von Brazil Imperial gab es Bedenken auf Grund des Kolonialisierungsthemas und ein bekannter deutscher Verlag hat von Brazil Imperial wieder Abstand genommen. Giant Roc hat mit dem Mut zur Lokalisierung meiner Meinung nach einen Glücksgriff getan und durch die Spieleschmiedeförderung einen wirklich tollen Titel für ihr Portfolio gewonnen. Mir persönlich macht der Titel auch wirklich Lust auf mehr von Zé Mendes, denn für ein Zweitlingswerk ist Brazil Imperial wirklich außerordentlich. Mit dem für 2023 bei MeepleBR angekündigten Tiles of the World ist der nächste Titel von ihm auf jeden Fall dick unterstrichen auf meiner Watchlist gelandet.

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Brazil Imperial von Zé Mendes
Erschienen Giant Roc
Für 1-4 Spieler*innen ab 14 Jahren. Spieldauer etwa 100 Minuten
Link zu Boardgamegeek

Sämtliche Bilder sind von uns selbst erstellt oder vom jeweiligen Pressematerial des Verlages (Hier Giant Roc)