10.05.2024

Sssnake

Videospielumsetzungen im Brettspiel-Format funktionieren sehr oft sehr gut. Aber warum nach modernen Hype-Titeln wie Dorfromantik und This War Of Mine nicht auch mal einen richtigen Retro-Klassiker umwandeln? Ob Sssnake als Flip'n'Write dabei ähnliche Wellen schlagen wird wie das erste Handy-Spiel überhaupt, bleibt fraglich. Und das Spiel macht es sich dabei auch nicht gerade leicht.
 
Sssnake ist ein Flip'n'Write für 6 Spieler*innen von Bujar Haskaj und dauert knapp 30 Minuten.
 
[Spielmaterial: Model, aber Freak]

 
 

 
Der Illustrator Malte J. Zirbel hat zuallererst ein ziemlich dickes Lob verdient – denn sowohl das Cover als auch die im Spiel enthaltenen Fähigkeitenkarten hätten mit ihren absolut großartigen Schlangen sogar das Zeug für eigene Merch-Produkte, Serien, Handy-Wallpaper - you name it!

Im Spiel enthalten sind allerdings ‚nur‘ 16  dieser Schlangen-Karten, dazu kommen vier Bögen mit je einem individuellen Spielplan und die zweifarbigen Zahlen-Karten aka Apfelkarten, die für den Flip & Write-Mechanismus wichtig sind.

Spiele haben allerdings nicht nur einen dekorativen, sondern auch einen funktionalen Charakter. Und für diesen hat Sssnake einen ziemlich großen Fail begangen: Die einzuzeichnenden Striche sind auf den kunterbunten und detaillierten Spielplänen nur mit sehr Konzentration zu erkennen. Weder mit den mitgelieferten Bleistiften noch mit dickeren Alternativen. Ziel verfehlt. Schönheit ist leider nicht alles.
 
 [Spielablauf: Solide Schlangenparaden]

 
Beim Durchblättern des Regelhefts ist der erste Gedanke: Eigentlich lag diese Umsetzung auf der Hand. Denn die Verwandlung des zentralen Mechanismus aus der Handy-Welt macht auf dem Papier wirklich völlig Sinn:

Ihr füttert per Flip'n'Write-Mechanismus eure Schlange auf eurem jeweiligen Spielplan durch, lasst sie damit wachsen und gedeihen – doch passt immer darauf auf, sich nicht selbst in den Schwanz zu beißen.
In Spieltermini umgewandelt sieht ein Rundenablauf (nach der Verteilung der Startpositionen der Schlangen) folgendermaßen aus:
  1. Die obersten beiden Apfelkarten werden aufgedeckt.
  2. Alle zeichnen in diesen Koordinaten (blau = y-Achse, gelb = x-Achse) einen Apfel auf ihrem Spielplan ein, sofern dort nicht bereits die Schlange durchgekrochen ist oder sich hier eine widrige Landschaft wie Eis oder Wasser befindet.
  3. Alle bewegen ihre Schlangen individuell um so viele Felder weit, wie die Schlange lang ist. Zu Beginn sind das 4, mit dem Verzehren jeden Apfels wird das länger. Bewegen bedeutet, vom aktuellen Ende der Schlange ausgehend um der Länge der Schlange entsprechend viele Felder in horizontalen und vertikalen Linien. Es entsteht dabei also eine immer längere Schlange.
  4. Der Startspielermarker wird weitergegeben und die nächste Runde startet.
Gespielt wird so lange, bis nur noch eine Person mit ihrer Schlange unterwegs ist. Spieler*innen scheiden wie beim Original-Spiel immer dann aus, wenn ihre Schlange:
  • sich selbst beißt
  • über den Spielrand oder unüberwindbare Grenzen kriecht
  • die Runde auf einem Gelände beendet, das nicht zulässig ist (z.B. Wasser)

Der Fokus der stetig wachsenden Schlange ist wie auf dem alten Nokia ziemlich offensichtlich: Das Futtern, also Einsammeln der zuvor eingezeichneten Äpfel ist der Dreh- und Angelpunkt des Spiels. Für jeden so übermalten Apfel umkreist ihr auf eurer Schlange unten auf eurem Bogen die nächste Zahl. 

Bei vier der Zahlen gibt es dabei einen besonderen Bonus: Eure Schlange lernt dazu! Bedeutet, dass ihr euch eine der ausliegenden, zuvor bereits für sehr hübsch befundenen Karten aussuchen dürft. Diese verleihen eurer Schlange die verschiedensten Fähigkeiten – zum Beispiel dürft ihr über Hügel klettern, euch zweiteilen und fortan mit zwei Köpfen weiterziehen oder sogar Eier legen, die nach dem Ausscheiden von Mama Schlange als Schlangen 2.0 ins Spiel kommen.

Diese insgesamt 16 Fähigkeitenkarten sind alle nur jeweils einmal verfügbar und es wird je nach Szenario und Spielerzahl immer nur eine bestimmte Anzahl ausgelegt. Durch dieses Gimmick entwickelt sich recht schnell eine völlig andere Spielweise und -erfahrung zwischen den Mitspielenden.

Am Ende gewinnt die Person mit den meisten Punkten. Und die gibt es bei Sssnake für:
  • Schlangenlänge (die ihr unten auf eurem Blatt für jeden gefressenen Apfel erhöht)
  • Anzahl der Spieler*innen, die vor euch ausgeschieden sind x2
  • Anzahl gefressener goldener Äpfel
  • Minus Anzahl gefressener verdorbener Äpfel

[Fazit: Eher Nokia als iPhone]
 
Heutzutage würde das Original-Snake im PlayStore wohl kaum einen großen Wind verursachen. Zu sehr hat sich die Welt der digitalen Spiele mittlerweile verändert, zu groß ist die Konkurrenz, die dasselbe macht. Nur eben etwas besser.
 
Dieses Gefühl beschleicht die anwesenden Spieler*innen auch nach den Partien von Sssnake.
Dabei finden sich auch definitiv einige wirklich positive Merkmale in der Box:
 
  • Das Artwork und Design sind wirklich großartig. Falls du das liest, Malte Zirbel – bitte noch so ein Spiel!
  • Das Snake-Feeling kommt ziemlich überzeugend auf den Tisch
  • Die Auswahl-Optionen mit vier Blöcken mit unterschiedlichen Terrains und Schwierigkeitsgraden erhöht den Wiederspielreiz
  • Die Fähigkeiten sind witzig und bringen etwas Würze ins Erlebnis
  • Die Flip & Write-Mechanik ergibt Sinn und ist solide umgesetzt
Und doch ist der Vorsprung zu der Seite der eher kritischen Punkte nicht groß genug:
  • Die Anleitung ist für ein Spiel dieser Komplexität einfach zu undurchsichtig
  • In der Box liegen nur vier Bleistifte – für ein Spiel mit bis zu sechs Spieler*innen ein No Go
  • Die Spielpläne sind viel zu kleinteilig und die Stifte entsprechend schlecht erkennbar. Das wird schnell super anstrengend
  • die Ikonographien und einzelnen Elemente des Spiels sind oft ungelenk und unnötig komplex für ein eigentlich simples Spiel
  • Die Rückseiten der Blöcke sind leer, was hinsichtlich von Nachhaltigkeit wirklich schade ist
Mit dem teils auch unnötig komplexen Aufbauschens eigentlicher simpler Regeln bleibt leider ein Gefühl: Dieses Spiel hat sich selbst etwas in den Schlangenhintern gebissen. 
 
Wer sein Flip'n'Write-Herz aber doch mit einem in der Tat sehr ungewöhnlichen Spiel bereichern möchte und dabei auch noch wirklich großartige Schlangen kennenlernen möchte, darf dennoch zuschlagen. Erwartet nur kein Genre-prägendes Spiel! 
 
Das hat der analoge Opa schon gut selbst hinbekommen.

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Sssnake von Bujar Haskaj
Erschienen bei Suncor Games
Für 2-6 Spieler in 45 Minuten ab 8 Jahren
Boardgamegeek-Link

 
sämtliche Bilder sind von uns selbst erstellt oder vom jeweiligen Pressematerial des Verlages (hier Suncore Games)