15.07.2020

Dungeon Degenerates


Als ich erfahren habe, dass wir dieses Spiel als Rezensionsexemplar erhalten, konnte ich mich kaum halten vor Freude, hatte ich mich doch schon vorher tagelang bemüht an dieses Spiel zu kommen und hatte leider keinen Erfolg. Ich kniete und bettelte und bekam das Spiel tatsächlich zugesprochen. Wovon rede ich? Dungeon Degenerates - Hand of Doom von Goblinko. Ein Kickstarter-Projekt für 1-4 Spieler ab 10 Jahren.Optisch gibt es nur wenige Spiele, welche die Spielgemeinschaft so spaltet und spalten wird. Und ob sich meine Vorfreude wirklich gelohnt hat, wollen wir jetzt mal schauen.

[MATERIAL & ANLEITUNG]

In der normal großen Box finden wir hunderte von Karten sowie Token. Dazu kommen Pappstandees und ein Spielbrett. Die Qualität ist durchweg in Ordnung, wenn auch nicht überragend. Etwas fitzelig sind die kleinen Token, die man auf den eigenen Spielerboards ablegt. Auch die Spielerboards hätten dicker sein können. Alles in allem also ok, mehr aber auch nicht und nicht das, was man häufig von Kickstarter-Projekten erwartet und bekommt.


Optisch, hab ich schon angedeutet, ist das ganze eindeutig Geschmackssache. Uns knallen die Farben nur entgegen, Rot trifft auf Pink, dann Gelb auf Grün und so weiter. Der Comic-Stil hat sicherlich eine Bezeichnung, mich erinnert es ein wenig an 80er Metal Musik Cover. Auf den ersten Blick kann man sich kaum vorstellen, dass dies so spielbar ist, aber überraschenderweise löst sich das ganze auf dem Tisch auf. Es hilft allerdings einen neutralen Untergrund zu haben, um nicht noch mehr Gewusel auf den Tisch zu erhalten. 
Mich spricht dieser Stil irgendwie an, auch wenn es nicht das Hübscheste ist. Im Ladenregal hätte ich es mir auf jeden Fall angesehen und hat damit also das Ziel erreicht. Zusätzlich passt es halt hervorragend zum verrückten Thema, dazu dann gleich mehr.

Die Anleitung ist recht umfangreich mit sehr viel Text, aber gut strukturiert und erklärt alles ausreichend. Dennoch wird das Erarbeiten der Regeln einiges an Zeit in Anspruch nehmen und dazu führen, dass man evtl. in der ersten Partie auch noch einige Fehler macht. Zum Glück spielen wir kooperativ, dann ist das nicht ganz so schlimm.


[ABLAUF]

Eins vorweg: Das Spiel ist umfangreich, daher werde ich nun nicht auf jedes Detail eingehen und euch den Ablauf wirklich nur in den Grundzügen erklären, so dass ihr ein Gefühl bekommt, wie eine Partie abläuft. Grundlegend muss man verstehen, dass wir eigentlich als eine Gruppe agieren, heißt, man entscheidet zusammen die nächsten Schritte und diese werden dann auch zusammengefasst durchgeführt. Es ist also nicht immer so, dass jeder ein gewisse Anzahl Aktionen durchführt und dann der nächste. Im Laufe des Spiels kann es aber schon notwendig sein, sich zu teilen. Jede Gruppe (und auch Einzelperson) ist dann eine Gruppe für sich, die zusammen entscheidet was getan wird.

Eine Runde ist unterteilt in 3 Phasen. Angefangen wird mit der “Map Action Phase”, in der wir zunächst gemeinsam entscheiden, ob wir mutig/kühn (“bold”) oder behutsam/vorsichtig (“cautious”) vorgehen werden. Dafür hat jeder Spieler einen kleinen Marker um dies anzuzeigen. Je nach Status hängt es dann ab, welche Aktionen wir durchführen können. z.B. kann ich nur im “Bold”-Modus einen Gewaltmarsch durchführen und so einen kompletten Weg benutzen und nicht wie sonst, nur die Hälfte. Des Weiteren hat dieser Status auch Auswirkungen auf potentiell erscheinende Monster oder Ereignisse. Innerhalb der Aktion “Ausruhen” gibt es noch weitere Aktionen, die ebenfalls von diesem Status abhängig sind. 


Je nach Ort und Status kann ich mich also bewegen, ausruhen, handeln, erkunden usw. Hier gilt jede Aktion für jeden einer Gruppe. Wenn ich mich also entscheide einen Gewaltmarsch durchzuführen, wird jeder dieser Gruppe bewegt und danach muss jeder Spieler einen Verfassungs-Test (Constitution) durchführen. Scheitert jemand an diesem Test wird er “erschöpft” (dargestellt durch einen Marker) und kann erstmal keine Gewaltmärsche mehr durchführen. Wie Tests funktionieren erkläre ich natürlich noch.

Hat jede Gruppe sich also für eine Aktion entschieden und diese durchgeführt geht es weiter mit der “Danger Phase”. Hierfür deckt man die oberste Danger-Karte auf und arbeitet diese von oben nach unten ab. In der oberen Hälfte wird meistens ein Ort auf der Karte genannt, in welchem sich nun das Gefahrenlevel um 1 erhöht. Jede Stadt bzw. jeder Ort hat einen solchen Wert, ist der Orange, herrscht dort höhere Gefahr von Monster angegriffen zu werden, bei einer orangenen 6 die höchste Gefahr. Man kann dieses Gefahrenlevel auch senken und überschreitet man dabei die “Null” auf die grüne Seite, wird der Ort dadurch “sicher” und Aktionen wie z.B. Handeln sind dort nun möglich und es können keine Monster durch die Danger-Karte kommen. 
In der unteren Hälfte gibt es dann häufig eine Zahl (hin und wieder verbunden mit einem Symbol). Ist die Zahl auf der Karte niedriger oder gleich als das Gefahrenlevel in dem Ort in dem wir uns befinden, müssen wir meistens ein Ereignis auslösen und Monster greifen uns an. Bin ich als Gruppe gerade “behutsam” kann ich aber auch versuchen den Wert der Karte um 1 zu erhöhen, in dem wir alle ein Wahrnehmungs-Test durchführen. 


Sind wir aber gezwungen das Ereignis und einen Monster-Angriff zu durchzuführen, kommen wir sofort in die dritte Phase, der “Encounter Phase”. Hier wird nun das Ereignis und der Kampf durchgeführt. Zunächst wird mit dem Ereignis angefangen. Für jeden Region auf der Karte gibt es passende Ereignis- und Monsterkarten. Wir ziehen also vom passenden Ereigniskarten-Stapel die oberste Karte und handeln diese ab. Auf vielen dieser Karten wird unterschieden ob man sich an einem Ort “draußen” oder “drinnen” befindet und nur jeweilige Hälfte wird durchgeführt. Die Möglichkeiten innerhalb der Ereignisse sind mannigfaltig und zum Teil sehr lustig und grotesk. Häufig müssen wir Proben bestehen oder bestimmte Dinge ändern sich. 

Eine Probe bzw. Test durchführen ist hierbei leicht erklärt. Jeder Spieler hat 6 Eigenschaften (Beweglichkeit, Verfassung, Magie, Moral, Wahrnehmung, Stärke) mit Werten zwischen 2 und 12. Hiervon wird eine Eigenschaft gewählt und man wirft nun 2 W6. Wenn das Ergebnis kleiner oder gleich meiner Eigenschaft ist, habe ich den Test bestanden. Natürlich kann ich im Laufe des Spiels Dinge finden, die mir helfen Würfelwürfe oder meine Eigenschaften zu ändern. Jeder Spieler hat zu Beginn auch einen Glücks-Wert. Geb ich ein Glück aus, kann ich einen Würfel neu werfen. Wir sammeln auch Gold mit dem man sich dann Gegenstände kaufen. Sind wir schon gerade bei unserem Tableau finden wir dort auch immer einen Möglichkeit wie wir Glück dazu erhalten, welche sich aber bei jedem unterscheidet. 


Kommen wir nun zu den Monstern und dem Kampf. Beim Aufdecken der Monster gibt dieses vor, welchen Spieler er angreifen wird (z.B. den Spieler mit der höchsten Magie). Ein Spieler ist dann auch erstmal verpflichtet, diese Monster anzugreifen, hat er aber keine Monster mehr bei sich und die Mitspieler schon, kann er nun auch diese angreifen. Achtung: der Spieler, welcher das Monster tötet, erhält am Ende der Runde XP und Gold!! Die Monster haben auch noch Stichworte, die dazu führen können, dass gewisse Dinge noch vor dem Kampf ausgeführt werden, andere Stichwörter hingegen beziehen sich auf das Ende einer Kampfrunde. Hierfür gibt es am Ende der Anleitung eine schöne Übersicht sowie auch einen extra Bogen, den man rumreichen kann. So wird der Einstieg trotz der Fülle an Begriffen stark erleichtert.

Der Kampf verläuft ähnlich zu den Tests. Allerdings mit gleich fünf Würfeln. Vor einem Kampf entscheide ich hier ebenfalls meine Haltung , entweder “Schutz” (Guard) oder “Angriff” (Assault). Zwei grüne Würfel stehen für meine Verteidigung und man wirft mit diesen einen Agilitätstest. Ist dieser erfolgreich wähle ich den Würfel mit dem höchsten Wert und kann einen Angriff bis zu dieser Höhe erfolgreich abwehren. Hab ich vorher “Schutz” gewählt, dürfte ich dafür auch den lila Würfel nehmen und erhöhe somit die Chance auf einen besseren Wurf. Der Schaden der noch durchkommt trage ich auf meiner Spielerboard ab, wo es ein Schadenstoken gibt, sowie ein Token, welcher die Maximal-Anzahl an Schaden, die ich aufnehmen kann, anzeigt. 


Beim Angriff selbst entscheidet man vorab, womit man angreift, je nach gewählter Waffe muss ich dann ebenfalls einen Test bestehen, welcher mit den zwei roten Würfel durchgeführt wird. Auch wird dann der Würfel mit dem höchsten Wert genommen und das ist der Schaden den ich beim Monster verursache. Beim Status “Angriff” würde dann der lila Würfel für eine weitere Option stehen. Darf ich angreifen, habe aber kein Monster zugewiesen bekommen, kann ich ein Monster meiner Wahl angreifen, das tolle dabei, dieses attackiert mich aber nicht und es muss kein Verteidigungswurf durchgeführt werden. Sind alle Monster getötet erhält jeder Spieler XP und Gold auf Basis seiner getöteten Monster, danach darf er dann noch einen W6 werfen. Ist der Wert kleiner oder gleich als die Anzahl der gesammelten XP, darf ich noch eine Karte vom Loot-Stapel nehmen. Die gesammelten XPs kann ich im Laufe des Spiels verwenden um bestimmte Dinge zu lernen und zu verbessern. Nun wird schon die nächste Runde in Angriff genommen.

So der grobe Ablauf. Das Herzstück ist natürlich die große Kampagne, die im Missionsbuch zu finden ist. Man darf allerdings auch einzelne Szenarien spielen, ich denke aber nicht, dass dies wirklich den Reiz dieses Spiels ausmacht. Natürlich möchte ich nicht zu sehr spoilern, nur soviel sei gesagt: Wir sind alles Straftäter in einem Gefängnis und ein Gefängniswächter lässt uns frei um ein verstecktes Paket (ein abgehackter Kopf) zu finden und dieses zu seinem Cousin zu bringen. Es obliegt allerdings uns, ob wir das wirklich tun wollen oder den Kopf nicht doch woanders hinbringen. Ein turbulentes Abenteuer beginnt. Wichtig ist hierbei auch die Hand of Doom, die noch besondere Gefahr ausstrahlt und bestimmte Orte noch gefährlicher macht. Jede Mission gibt selbst vor, wann diese endet und daraufhin müsst ihr euch meistens entscheiden, wie es weitergeht bzw die Art des Endes entscheidet dies bereits schon. 


[FAZIT]

Was hatte ich nicht für hohe Erwartungen an dieses Spiel. Viel gutes war zu hören. Epische Geschichten, die erzählt wurden und und und. Und ja, Dungeon Degenerates bietet genau das. Epische, abgedrehte Geschichten, die direkt aus einem LSD Trip stammen können. Spielerisch lässt sich das ganze natürlich reduzieren auf viele Würfel-Tests, die ich durch Entwicklung und Ausrüstung einfacher oder schwerer machen kann. Wer also mit Würfeln nichts anfangen kann, wird wohl auch hier seine Schwierigkeiten haben. Aber ich denke, man kann dieses Spiel nicht wirklich als Brettspiel sehen.

Dungeon Degenerates ist ein Rollenspiel. Wem Pen & Paper Spiele zu kompliziert sind oder die nötige Phantasie fehlt, der findet hier einen idealen Weg, das Gefühl eines Rollenspiels zu bekommen. So sollte Dungeon Degenerates auch gespielt werden. In der Rolle.

Die Geschichte und Gestaltung ist natürlich schwer Geschmacksache, aber ich habe selten so viele kreative Ideen auf einem Haufen gesehen. Jeder hat in seiner Jugend bestimmt schon total bekloppte Geschichten zusammengesponnen und sich tot gelacht. Hier hatte jemand eben die Idee, das alles festzuhalten. Jeder noch so kindische Einfall wurde genommen und eingebunden. Drogen, Sex, Gewalt, Sex-Zwerge. Alles kommt vor. Das muss man mögen und natürlich vorher wissen. Ich bin schwer beeindruckt von all den Details und ziehe meinen Hut, wie gut das alles funktioniert und wie stimmig dies dann auch grafisch umgesetzt wurde. Dungeon Degenerates ist ein Liebhaber-Projekt und dies merkt man mit jedem Monster, jedem Ereignis und den Charakteren. 


Einziges Manko ist leider die Sprache. Es erwartet euch eine Menge Text und wer des Englischen nicht mächtig ist, wird hier nicht wirklich in Stimmung kommen. Das ist schade, denn gerade dieser Teil ist das Herzstück und will erkundet werden. 
Wer spielmechanisch ein Hochgenuss erwartet wird wohl enttäuscht, wer aber Lust auf ein abgefahrenes Rollenspiel mit einfachem Handling hat, wird hier seine wahre Freude haben. Auf nach BRÜTTELBURG!!!

Für wen ist Dungeon Degenerates?

Kinder: 0 von 5 (die aufkommenden Themen sind 100% für Erwachsene und sollte nicht in Kinderhände geraten, auch nicht ab 10!)

Familie: 2 von 5 (spielerisch sollte ein Familienspieler reinkommen können, auch wenn es zu Beginn sehr viel Input gibt, aber unter Anleitung eines erfahrenen Spielers wird auch der Familienspieler seinen Spaß haben)

Kenner: 4 von 5 (Fans von Rollenspielen, Pen & Paper und Dungeon Crawlern werden sich schnell zurecht finden)

Experte: 3 von 5 (viele Stichwörter, Verbindungen und Informationen müssen erstmal verarbeitet werden und bieten somit auch dem Expertenspieler etwas. Hier wird dann mehr die Lust auf die Story entscheiden)


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Dungeon Degenerativ von Sean Äaberg und Eric Radey
Erschienen bei Goblinko
Für 1 bis 4 Spieler in ca. 180 Minuten ab 10 Jahren
Boardgamegeek-Link

sämtliche Bilder sind von uns selbst erstellt oder aus dem Pressematerial des jeweiligen Verlages (hier Goblinko)