Bei GMT Games erwartet man meistens ziemlich komplexe Brocken mit dicken Regelheften und mehreren Stunden Spieldauer pro Partie. Dass allerdings nicht jedes Regelheft gelungen ist, konnten wir bei meinem letzten GMT-Games-Titel Clash of Sovereigns beobachten. Zum Glück ist das bei Ancient Civilizations of the Middle East deutlich besser. Und tatsächlich erinnert dieses Spiel fast eher an ein Ameritrash-Spiel – nur ohne Würfel. Klingt komisch? Dann lest selbst!
Im historischen Spiel für 1–6 Spieler aus der Feder von Mark McLaughlin und Chris Vorder Bruegge übernehmen wir die Rolle einer vergangenen Zivilisation. Zeitlich befinden wir uns zwischen 3000 und 100 v. Chr., also in Epochen mit biblischem Ausmaß – was sich tatsächlich auch im Spiel widerspiegelt. Insgesamt 17 verschiedene Zivilisationen stehen zur Verfügung, darunter die Ägypter, Assyrer, Hethiter oder Griechen. Das Playbook von GMT bietet dazu eine Vielzahl an Startmöglichkeiten, je nach Spieleranzahl und historischem Setting. Auch die Spieldauer kann man ganz individuell festlegen – es gibt zwar Vorschläge, diese sind aber flexibel. So kann man die Anzahl der Epochen bzw. Runden vorgeben oder einen Zielpunktwert bestimmen.
Wer mag, kann auch so spielen, dass man nicht weiß, wie lange es dauern wird – 2–4 Epochen sind dann möglich, bestimmt durch einen Zufalls- und Ereignismechanismus.
Die Spielmechanik ist deutlich leichter und eingängiger, als man zunächst vermuten würde. Jede Zivilisation beginnt in einer Region und versucht, sich nach und nach auszubreiten, Siedlungen und Städte zu bauen und dadurch Siegpunkte zu generieren. Befinden sich zwei Zivilisationen im unausgeglichenen Verhältnis in derselben Region, kommt es zu einem Konflikt.
Zu Beginn einer Runde wachsen die Zivilisationen auf Basis der aktuellen Lage. So gibt es neue Scheiben für Städte, Siedlungen oder Tempel in fruchtbaren Regionen. Diese Scheiben kann man anschließend einsetzen, um bestehende Strukturen auszubauen oder neue Regionen zu erschließen.
Und jetzt kommt der chaotische Teil ins Spiel, denn bisher ließe sich alles gut planen. Es gibt die Schicksalskarten, die jeder Spieler auf der Hand hält und nun ausspielen kann. Manche sind im Timing eingeschränkt (z. B. nur in Konflikten oder als Reaktion auf bestimmte Aktionen), doch viele können jederzeit gespielt werden und haben gehörigen Einfluss. So kann es etwa zu einer Flut kommen, bei der alle Regionen an Flüssen Scheiben verlieren, oder eine Heuschreckenplage legt sich über drei angrenzende Regionen und vernichtet dort alles.
Ihr merkt schon: Da kommt einiges Unberechenbares auf einen zu. Nachdem diese Schicksalskarten abgehandelt sind, widmet man sich den Konflikten, die möglicherweise entstanden sind. Dabei verliert jede Seite abwechselnd eine Scheibe, bis Gleichstand herrscht oder nur noch eine Zivilisation übrig bleibt. Durch Schicksalskarten oder den Einsatz von Münzen (Minos, also Geld) kann man verhindern, eigene Scheiben abgeben zu müssen.
Nach Abschluss aller Konflikte (von Nordosten bis Südwesten) folgt eine kleine Wertung, in der man Punkte z. B. für Städte oder Tempel erhält. Danach beginnt eine neue Runde. Jede Zivilisation kann sich im Laufe des Spiels übrigens für genau eine Gottheit samt passendem Tempel entscheiden, was ihr eine besondere Fähigkeit verleiht. Zudem kann man gegnerische Tempel überfallen und dafür am Rundenende ebenfalls Punkte kassieren.
Wer von GMT-Spielen einen hohen strategischen und taktischen Anspruch erwartet, wird hier möglicherweise enttäuscht oder tut sich schwer mit den teils chaotischen Abläufen, die besonders durch die Schicksalskarten entstehen. Für mich macht genau das jedoch den Charme aus und hat in meinen bisherigen Runden für großen Spielspaß gesorgt – auch dann, wenn es mal gegen mich lief.
Denn gerade dadurch entstehen bei mir Bilder, Geschichten und Emotionen: Wenn z. B. die Griechen mit Heuschreckenplagen kämpfen müssen und ich als Ägypter mit einer Flut zu tun habe, wird das Spiel lebendig. Apropos Ereignisse: Die gibt es auch als eigene Kartenkategorie im Stapel, die sofort beim Aufdecken abgehandelt werden. Noch mehr Chaos!
Material und Optik sind für mich sehr stimmig zum Thema und gefallen mir ausgesprochen gut. Besonders die Qualität der Karten sowie des Spielbretts ist hervorragend, dazu gibt es jede Menge Holzscheiben. Auch die Anleitung ist diesmal gelungen: sehr detailliert, mit vielen Beispielen – sowohl im Grundregelheft als auch im Playbook.
Wem das Ganze bekannt vorkommt, der hat vielleicht schon die ältere „Schwester“ Ancient Civilizations of the Inner Sea gespielt. Dieses Spiel versteht sich als Fortsetzung mit regionaler Verschiebung und einigen Ergänzungen, wie etwa den Gottheiten.
Alles in allem kann ich das Spiel Leuten empfehlen, die Lust auf historische Themen haben, aber Strategie und Taktik eher locker sehen. ACME ist ein „Hau-drauf-und-schauen-was-passiert“-Spiel. Wer damit nichts anfangen kann, sollte lieber die Finger davon lassen. Allen anderen wünsche ich viel Spaß beim geschickten Ausspielen von Schicksalskarten und beim Versuch, den Mitspielern ein Schnippchen zu schlagen.
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Ancient Civilizations of the Middle East von Mark McLaughlin & Chris Vorder Bruegge
Erschienen bei GMT Games
Für 1-6 Spieler in ca. 120-420 Minuten ab 14 Jahren
sämtliche Bilder sind von uns selbst erstellt oder vom jeweiligen Pressematerial des Verlages (hier GMT Games)